Stadtjubiläum Auf den Spuren des Bernsteinzimmers
Wuppertal · Ein Team von Hobby-Forschern sucht seit Jahren in Wuppertal nach dem legendären Schatz. Der Nazi-Kriegsverbrecher Erich Koch soll es hier versteckt haben.
Der Ort passte zu dem, was der „Mann aus Sachsen“ suchte: einen Mythos. Damals, 2009, als die WZ ihn erstmals in Wuppertal begleitete. In einem „dunklen, muffigen und verzweigten Gewölbe, einem düsteren Keller, in dem die SA im Dritten Reich gefoltert hat“, wie der Journalist Manfred Görgens vor zehn Jahren notierte. Was er so anschaulich beschrieb, waren die Katakomben des alten Genossenschaftsgebäudes an der Münzstraße. Genau dort vermutete Karl-Heinz Kleine einen Schatz. Vielleicht einen der größten, der heute noch seiner Entdeckung harrt: das Bernsteinzimmer. Der Wert? Unschätzbar. Von gut 250 Millionen Euro war einmal die Rede.
Das Kleinod, das der preußische König Friedrich Wilhelm I. im 18. Jahrhundert dem russischen Zaren Peter den Großen geschenkt hatte, gilt seit 1945 als verschollen. Wahrscheinlich zerstört, sagen die, die keine Lust auf Träumereien haben. Kleine ist sich aber sicher. Es hat den Krieg überstanden. Und noch besser: Es liegt in Wuppertal. Irgendwo.
Seine Theorie ist eng mit der Biografie von Erich Koch verbunden. Der war gebürtiger Elberfelder und Gauleiter in Ostpreussen. Dort, genauer in Königsberg (heute Kaliningrad), war das Bernsteinzimmer untergebracht. In den letzten Kriegswirren verliert sich jedoch die Spur. „Koch hat es raus- und nach Wuppertal gebracht“, glaubt, nein, weiß Kleine, dass es zwischen August und Dezember 1944 einen geheimen Zugtransport von Ostpreussen aus nach Wuppertal gegeben haben muss – in die Heimat Kochs. Deshalb damals auch die Suche an der Münzstraße. Die Konsumgenossenschaft besaß nämlich einen eigenen unterirdischen Bahnanschluss.
Ein Indiz, dass der Gauleiter Informationen über den Verbleib des Schatzes hatte, ist für Kleine unter anderem die Tatsache, dass Koch als Kriegsverbrecher „nur“ zu lebenslanger Haft, nicht aber zum Tode verurteilt worden war. „Das Bernsteinzimmer war seine Lebensversicherung“, sagt Kleine. Doch selbst wenn es so war: Sein Geheimnis hat Koch 1986 mit ins Grab genommen.
Und dann wären da noch diverse andere Theorien, deren Anhänger mindestens genauso von ihrer jeweiligen Annahme überzeugt sind, wie Kleine von seiner. Von einem verplombten und vergrabenen Zug irgendwo in Polen war schon einmal als mögliches Versteck des Bernsteinzimmers die Rede, von irgendwelchen Bergseen, die sich kaum abtauchen lassen, oder gar von der Wilhelm Gustloff, die bei ihrem Untergang 1945 nicht nur tausende deutsche Flüchtlinge, sondern auch den Schatz aus Bernstein an Bord gehabt haben soll. Kleine widerlegt diese Theorien recht schnell — was für ihn einfach ist. Hätten die anderen Recht, hätten sie ja was finden müssen. „Haben sie aber nicht“, sächselt Kleine in seiner sympathischen Art.
Der Haken: Er wurde bislang auch nicht fündig. Nicht an der Münzstraße und auch nicht an den vielen anderen Orten in Wuppertal, wo er und sein Team um Wilfried Fischer, zum Großteil Rentner, in den Untergrund gingen. Wo genau, dass, so seine Bitte, solle die WZ, die ihn regelmäßig bei der Schatzsuche über die Schulter schaut, doch bitte für sich behalten. „Sie wissen schon, die anderen.“
Spannend ist es allemal, auch für die begleitenden Reporter, wenn Kleine mal wieder einen Bunker oder Stollen auftat, der manchmal über Jahrzehnte keinen Besucher gesehen hat. Da fällt es auch nicht groß ins Gewicht, wenn als einzige Funde am Ende nur ein verrostetes Moped oder Flaschen längst vergessener Wuppertaler Brauereien zu Buche stehen.
Die Stadt unterstützt Kleine. Nicht offiziell und erst recht nicht finanziell. Aber mit ein bisschen Know-How und hier und da einer Genehmigung. Denn wer weiß, vielleicht stößt Kleine ja doch einmal auf Bernstein.
Seine bislang vergebliche Suche brachte Kleine und Wuppertal jedenfalls weltweit in die Schlagzeilen. Wolfgang Ebert, Vorsitzender des Fördervereins Konsumgenossenschaft Vorwärts Münzstraße, erinnert sich an Kleines Besuch 2009. „Wir haben das ja mit Humor genommen. Dass das Bernsteinzimmer bei uns liegt, glaubte keiner.“ Nach dem WZ-Bericht prasselten aber die Anfragen ein. „Stern, Spiegel. Alle wollten kommen. Könnt ihr gerne machen, aber finden werdet ihr nichts, haben wir denen gesagt“, erzählt Ebert lachend.
Im Laufe der Jahren drehten Filmteams aus Frankreich oder Russland in Wuppertal. Zeitungen aus Japan und den USA titelten „Pensionär auf der Jagd nach dem Nazi-Schatz“ und ähnliches. Dass der eine oder andere Beitrag zumindest zwischen den Zeilen durchklingen lässt, dass man Kleine vielleicht doch eher für einen Spinner hält, nimmt der Rentner gelassen hin. „Das geht mir am Punkt, Punkt, Punkt vorbei.“
Dass das Thema zieht, zeigen die Reaktionen auf die WZ-Artikel. Natürlich gibt es die, die, Orignalton, „so einen Quatsch nicht mehr lesen wollen“. Aber es melden sich auch immer wieder Zeitzeugen, die vermeintliche Hinweise auf das Bernsteinzimmer haben. Wie eine Dame, die sich meinte erinnern zu können, dass am Rande des Mirker Hains mal Soldaten in den letzten Kriegstagen geheimnisvolle Kisten in einem Stollen versteckten, während sie in der Nachbarschaft spielte.
Für Kleine sind solche Hinweise natürlich ein gefundenes Fressen. Auch wenn er mittlerweile aus privaten Gründen nach Leipzig zurückgekehrt ist, koordiniert er von dort aus weiterhin die Suche in Wuppertal. Aufgeben sei kein Thema. „Das Bernsteinzimmer liegt in Wuppertal.“ Von dem Gedanken abbringen könne man ihn nur, „wenn man mir das Gegenteil beweist: Sprich, jemand muss das Bernsteinzimmer anderswo entdecken“, sagt Kleine bestimmt. Und so lange das nicht passiert, „suche ich weiter“.