Gastbeitrag Aus dem Tagebuch eines Wuppertaler Messdieners: Sogar die Kirchenorgel verbrannte

Wuppertal · Am 13. März 1945 wurden Bomben über dem Wuppertaler Osten abgeworfen.

Blick von der Berliner Straße auf die Verwüstung nach dem Bombenangriff.

Foto: Hans-Joachim Ossé/Pfarrarchiv St. Johann Baptist

Es war Dienstag, der 13. März 1945. Zwischen 15.40 Uhr und 16.20 Uhr hatten 344 Bomber der alliierten Luftstreitkräfte 3600 Spreng- und 140 000 Brandbomben auf die Ortsteile Langerfeld, Heckinghausen und Rittershausen (Oberbarmen) abgeworfen. Das Ausmaß der Zerstörungen war beträchtlich. Viele Menschen im Osten der Stadt kamen dabei ums Leben.

Über den Osten Barmens breitete sich eine Feuersglut aus. So hatten auch die in der Nähe der Kirche St. Johann Baptist in der Oberbarmer Normannenstraße nieder gegangenen Bomben die Kirchenfenster mit ihrem Maßwerk zerstört und richteten in der Kirche große Verwüstungen an. Der Funkenflug aus den umliegenden Häusern griff dann in den späten Abendstunden auf die fünf Türme und das Dach der Kirche über, wobei auch die Orgel ein Raub der Flammen wurde. Pfarrer Wilhelm Weidmann informierte die Gemeinde am folgenden Sonntag – es war der Passionssonntag – über den Verlust des Gotteshauses.

Wo aber konnte sich die Gemeinde zu den Gottesdiensten versammeln? Das war die sorgenvolle Frage. In dieser Notlage kam spontan die Evangelische Kirchengemeinde Wichlinghausen, deren Gotteshaus unbeschädigt im nicht zerstörten Ortsteil Wichlinghausen geblieben war, zu Hilfe. Schon am darauffolgenden Sonntag – es war der Palmsonntag, konnten die Oberbarmer Katholiken morgens um 6 Uhr und abends um 18.30 Uhr in der evangelischen Wichlinghauser Kirche die Eucharistie feiern. Bis weit in den Sommer hinein (bis zum 8. Juli 1945) durften sie die geschwisterliche Hilfe erfahren. Ein schon damals denkwürdiges Beispiel gelebter Ökumene.

Die St. Johann-Baptist-Kirche vor 80 Jahren.

Foto: Hans-Joachim Ossé/Pfarrarchiv St. Johann Baptist

Für die jungen Messdiener waren diese Ereignisse auch mit Spannung gefüllt. Sonntag für Sonntag, bei jeder Wetterlage, hieß es: in der Frühe spätestens um 4.45 Uhr aufstehen. Um 5.10 Uhr begannen die Vorbereitungen in der nicht zerstörten Sakristei der Pfarrkirche. In zwei (manchmal drei) große Wäschekörbe wurde das gelegt, was für den Gottesdienst notwendig war: Die liturgischen Gewänder für die Priester und die Messdiener, Kelche, die Opfergaben wie Hostien und der Messwein, Altartücher, Kerzen für den Altar, Blumenschmuck, die liturgischen Bücher wie das Messbuch und die biblischen Lesungen, die Kollektenkörbchen und nicht zuletzt das Buch (Proclamandum) für die wöchentlichen Verkündigungen und Mitteilungen.

Immer den Anblick der
zerstörten Kirche vor Augen

Mit all dieser notwendigen Ausstattung zogen dann Priester, Küster und Messdiener gegen 5.20 Uhr von der Sakristei in der Normannenstraße, immer den Anblick der zerstörten Kirche vor Augen, über den Weg durch die nördlich der Kirche gelegene Gartensiedlung (heute Max-Planck-Straße und Schulzentrum-Ost), überquerten am Wichlinghauser Bahnhof die Brücke zur Freiheitstraße, und von dort ging es weiter durch die Görlitzer Straße – Wichlinghauser Straße, bis der Wichlinghauser Markt erreicht wurde, wo sie dann in die Westkotter Straße einbogen. Dort begrüßte die Gruppe – soweit das in den letzten Kriegswochen erlaubt war – das Glockengeläut der Wichlinghauser Kirche, wofür sie dem Küster der evangelischen Gemeinde sehr dankbar waren, zumal auch er früher als sonst üblich seinen Dienst für die katholischen Christen begonnen hatte. Nur auf eines musste – aus welchen Gründen auch immer – verzichtet werden: den Gebrauch von Weihrauch. Das war für die erprobten Weihrauchfass schwenkenden Messdiener ein großes Opfer.

Wie gerne hätten sie schon unterwegs in den Straßen von Wichlinghausen den Weihrauchduft verbreitet. Bei all dem durfte aber nicht vergessen werden, dass der Krieg noch nicht zu Ende war. Es sollten noch knapp vier Wochen vergehen, bis amerikanische Truppen Wuppertal besetzten. Das hieß, es musste zu jeder Zeit mit Fliegeralarm und überfliegenden Bombern gerechnet werden, vor allem mit dem unberechenbaren Tieffliegerbeschuss. Aber Jung und Alt lebten mit der Hoffnung auf Gottes Schutz und Hilfe und wurden auch in den letzten Kriegswochen nicht enttäuscht. Die beiden sonntäglichen katholischen Messfeiern in der evangelischen Kirche Wichlinghausen besuchten Hunderte katholische Christen. Dafür, dass die Evangelische Gemeinde Wichlinghausen in diesen unruhigen und schweren Wochen und Monaten für die katholischen Mitchristen ihr Gotteshaus geöffnet hatte, damit dort die Gegenwart Christi in der Eucharistie gefeiert werden konnte, dankt bis heute noch die katholische Gemeinde.

Der Wiederaufbau sollte fünf Jahre dauern. Ab Weihnachten 1950 konnte die Gemeinde die Kirche wieder nutzen.