Awo: Immer mehr Bedürftige, aber immer weniger Geld

Warum die Arbeiterwohlfahrt Wuppertal in einer Zwickmühle steckt.

Herr Kremendahl, geht es der Arbeiterwohlfahrt in Wuppertal gut?

Hans Kremendahl: Es geht ihr wieder besser. Wir, das heißt Frank Gottsmann als Geschäftsführer und ich als Vorsitzender, kamen 2008 neu zur Awo, die kurz vor dem Ruin stand.

Warum stand die Awo kurz vor dem Ruin?

Kremendahl: Es waren Kosten entstanden, die nicht durch entsprechende Einnahmen gedeckt waren. Unsere erste Amtshandlung war die schmerzliche Entscheidung, unser Ausbildungszentrum zu schließen. Das Zentrum hatte 40 000 Euro Defizit im Jahr produziert.

Wie hoch ist der Jahresetat der Wuppertaler Awo?

Frank Gottsmann: Etwa zwei Millionen Euro.

Wie finanziert sich die Awo vorrangig?

Gottsmann: Durch städtische Aufträge.

Das heißt, Sie übernehmen Pflichtaufgaben der Stadt Wuppertal und erhalten die Kosten dafür?

Kremendahl: Ja.

Und in welchem Bereich?

Gottsmann: Zum Beispiel im Bereich der erzieherischen Hilfen im Auftrag des Jugendamtes.

Müssen Sie sich heute in Wuppertal um mehr Menschen kümmern als noch vor 15 Jahren?

Kremendahl: Ja, eindeutig ja. Das weiß ich auch durch meine Tätigkeit bei der Wuppertaler Tafel. Die Zahl der Hilfsbedürftigen hat zugenommen.

Woran liegt das?

Kremendahl: Das liegt an der gesellschaftlichen Entwicklung, das liegt daran, dass es eine höhere Sockelarbeitslosigkeit gibt, und das liegt an der Immigration. Wir haben in Wuppertal etwa 40.000 Hartz-IV-Empfänger.

Honoriert die Stadt ihre zunehmenden Aufgaben durch höhere Zuschüsse?

Gottsmann: Seit 2001 ist die Höhe der Zuschüsse unverändert geblieben.

Wenn die jährliche Inflation von zwei Prozent berücksichtigt wird, bedeutet dies, dass sie real mehr als 20 Prozent geringere Zuschüsse erhalten, oder?

Kremendahl: Das ist richtig.

Wie können Sie das kompensieren, wenn es zugleich mehr Hilfsbedürftige gibt?

Kremendahl: Durch Rationalisierungen. Derzeit schreiben wir knapp schwarze Zahlen. Durch viele kleine interne Maßnahmen haben wir Kosten gesenkt. Wenn jedoch irgendwo ein städtischer Zuschuss gestrichen wird, müssen wir diesen Bereich automatisch schließen.

Sie bieten eine Schuldnerberatung an. Wie lange muss ein überschuldeter Wuppertaler bei Ihnen auf einen Termin warten?

Gottsmann: Wenn er mit einem Beratungsschein vom Jobcenter kommt, geht das zügig. Ansonsten sind Wartezeiten von zwei bis drei Monaten keine Seltenheit.

Müssten Sie ihre Kapazitäten in diesem Bereich dann nicht ausbauen?

Kremendahl: Ja, wir können aber nur Kapazitäten aufbauen, die wir auch gegenfinanziert bekommen. Gottsmann: Wir bieten ja kostenlose Beratungen an, weil wir eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen.

Wie schätzen Sie denn Ihre Chancen ein, mehr Geld von der Stadt zu erhalten?

Kremendahl: Es gibt nur einen Bereich, in dem ich mir das vorstellen könnte.

Welcher ist das?

Kremendahl: Der Bereich Kindertagesstätten und U-3-Betreuung. Wir haben ja eine Kindertagesstätte. Leider bleibt der freie Träger in Wuppertal immer auf neun Prozent der jährlichen Betriebskosten sitzen.

Befinden Sie sich nicht in einer Zwickmühle? Mehr Leistungen bei real sinkenden Zuschüssen anzubieten, wie kann das gehen?

Gottsmann: In der Tat, wir befinden uns in der Zwickmühle. Wir haben im Bereich der Wohlfahrtspflege zwei Aufgaben: Die eine ist die Übernahme der städtischen Aufgaben, die andere die Anwaltsfunktion für die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Und beides hängt voneinander ab. Wenn wir die Aufgaben für die Stadt übernehmen, können wir auch unsere Anwaltsfunktion für die Menschen wahrnehmen.

Und das bleibt so?

Gottsmann: Wenn wir an den Punkt kommen, dass wir uns aus Kostengründen von einer Aufgabe verabschieden müssen, können wir auch nicht mehr die Anwaltsfunktion wahrnehmen. Deswegen versuchen wir, so lange wie möglich in einem Arbeitsfeld tätig zu sein. Aber: Irgendwann ist Schluss.

Was bedeutet das?

Gottsmann: Wir können uns als Awo in Wuppertal nicht erlauben, Eigenmittel einzubringen, weil wir sie nicht haben. Dann müssen wir uns aus einigen Aufgabenbereichen zurückziehen. Wir können nicht anders, wir müssen kostendeckend arbeiten.

Wann wird das sein?

Gottsmann: Noch ist der Zeitpunkt nicht erreicht. Kremendahl: Aber er kann kommen.

Das Tierheim hat ja gerade den Vertrag mit der Stadt gekündigt, weil angeblich die Kosten nicht ausreichend erstattet werden.

Gottsmann: Ja, das ist dann eine Konsequenz. Kremendahl: Ehe wir alle Bereiche bei uns notleidend werden lassen, stellen wir — wie beim Ausbildungszentrum — einen Bereich ein, um die anderen zu retten.

Wie sehen Sie die Awo in der Zukunft?

Kremendahl: Die Awo wird weiter eine wichtige Rolle für das soziale Wuppertal spielen. Wir haben mit der Schulsozialarbeit ein neues Aufgabenfeld übernommen. Ich bin Vorsitzender geworden, um den Verband in eine gute Zukunft zu führen.