Rundgang Berliner Platz in Wuppertal-Oberbarmen: Wo die Heimat als gefährlich gilt

Wuppertal · Oberbarmens Kriminalitätsschwerpunkt rund um den Berliner Platz ist ein Angstraum, der trotzdem liebenswert sein kann. Ein Spaziergang mit dem Vorsitzenden des Bürgerforums bringt neue Sichtweisen.

Heiko Schnickmann vom Bürgerforum Oberbarmen an der Rosenau - ein idyllischer Eindruck.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Am Wupperufer an der Rosenau hat eine Familie mit kleinen Kindern auf einer Bank im Schatten Schutz vor der Sommerhitze gefunden. Eine Bank weiter sitzen zwei Männer und nehmen kräftige Schlücke aus ihren Bierflaschen. Es ist 11 Uhr. Ein tätowierter Mann schläft einen tiefen Schlaf am Ufer, während eine Frau im Rollator des Weges kommt. Es ist eine Idylle mit Brüchen. Wer seinen Blick auf die leuchtenden Blüten und die schimmernden Reflektionen auf dem Wasser lenkt, vergisst schnell, dass die Rosenau zu dem großflächigen Umfeld des Berliner Platzes gehört, das die Polizei 2017 als „gefährlichen Ort“ eingestuft hat. Um dieses grüne Fleckchen, das es als Fotomotiv bereits ins Magazin „Landlust“ geschafft hat, kümmert sich eine eigene Ermittlungskommission.

427 Anzeigen wegen Drogen-Delikten gab es 2018 im Umkreis des Berliner Platzes, dazu 212 angezeigte Körperverletzungen und 36 Raubüberfälle. Seit die Polizei ihre Arbeit vor Ort intensiviert hat, ist die Zahl der Strafanzeigen zurückgegangen, hat sich 2019 im Bereich der Drogen und Körperverletzungen fast halbiert. Trotzdem gilt der Bereich weiter als Kriminalitätsschwerpunkt. Erst vor ein paar Tagen hat eine Gruppe junger Leute am hellichten Tag einen 22-Jährigen mit einer Stange niedergeschlagen. Solche Vorfälle bleiben in der Außenwirkung haften. Der Berliner Platz und seine schlecht beleuchteten Umgebungsstraßen wie Höfen und die Rittershauser Brücke gelten als Angstraum.

Doch ein Einheimischer wie Heiko Schnickmann hat am Berliner Platz keine Angst. Auch nicht in den späten Abendstunden, wenn der Wichlinghauser Lehrer und Vorsitzender des Bürgerforums Oberbarmen hier aus Hagen mit dem Zug ankommt. „Mir ist noch nie etwas passiert“, sagt Schnickmann. Mal wurde er Zeuge eines Drogengeschäfts, ein anderes Mal hat ihn ein Fremder „vollgequatscht“, aber bedrohlich sei das nie gewesen.

„Das sind Straßen mit
typischem Hinterhofcharakter“

Schnickmann könne sich aber schon vorstellen, warum andere Menschen da eine andere Wahrnehmung haben. Er zeigt auf den Zugang zur Rittershauser Brücke. Der Weg führt an dem ehemaligen Postgebäude vorbei, das heute mit Graffiti überzogen ist. „Das sind Straßen mit typischem Hinterhof-Charakter. Schlecht einsehbar, nachts unzureichend beleuchtet“, sagt Schnickmann. Doch tagsüber sei hier immer so viel los, dass er den Begriff Angstraum eigentlich unangebracht findet.

Auf der Berliner Straße reihen sich kleine Supermärkte, Spielhallen, Wettbüros und Cafés aneinander. Exotische Gerüche strömen aus einigen Ladenlokalen, die an ferne Länder erinnern. Die Adler-Klause sticht als klassische deutsche Eckkneipe heraus. Hier gibt es Bier für einen Euro am Tresen mit Holzverkleidung. Bei den jungen Leuten ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund hoch. Mehr als jeder zweite Wuppertaler, der hier lebt, hat seine Wurzeln irgendwo anders auf der Welt. Schnickmann weiß: „Die Fluktuation ist hier unheimlich hoch.“ Er habe einmal mit einem DHL-Boten gesprochen, der ihm berichtet hat, dass er in Oberbarmen ständig mit Paketen vor offenbar spontan leergezogenen Wohnungen steht. „Viele Menschen wohnen hier, weil sie es müssen“, sagt Schnickmann mit Blick auf die niedrigen Mieten.

Kann da ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen? Ein klassischer Bürgerverein, wie es das Bürgerforum Barmen ist, erfährt nicht den Zulauf wie in anderen Stadtteilen. Das Bürgerforum hat rund 50 Mitglieder. Die Färberei ist ein wichtiger Baustein für Projekte im Viertel, wie zuletzt „Die Wüste lebt“. Schnickmann sagt: „Es gibt ein Gemeinschaftsgefühl in Oberbarmen. Aber hier zeigt es sich anders.“ Das sei ja auch verständlich. Man dürfe nicht vergessen, dass viele Menschen des Viertels aus Kulturen kommen, in denen die Geschichte eines Stadtteils eine untergeordnete Rolle spielt.

Auf dem Wupperfelder Markt plätschert das Wasser des Brunnens. Unter Schirmen lassen es sich die Menschen bei einem Eiskaffee gut gehen. Es ist ein gemischtes Publikum, das hier die Auswahl zwischen indischen, griechischen, arabischen und deutschen Speisen hat: Familien, Paare, Männerrunden. „Hier machen wir alles richtig“, sagt Schnickmann. „Ich weiß nicht, was daran ein Angstraum sein soll.“ Bis spät in den Abend sei der Platz belebt, doch die polizeiliche Einteilung in einen Kriminalitätsschwerpunkt sorge für eine Stigmatisierung. Heiko Schnickmann sieht da eine Verzerrung in der Wahrnehmung: „Die Polizei macht eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Im Gegensatz zu vielen Leuten, die hier gute Dinge anstoßen.“ Gerade ehrenamtliche Arbeit spiele sich oft im Stillen ab. Hängen bleibt die Kriminalitätsstatistik.

Zurück am Berliner Platz bellen ein paar Hunde. Rund um den kleinen Kiosk fließt Bier. Das Häuschen soll bald Geschichte sein. Noch in diesem Jahr wird voraussichtlich die Umgestaltung des Berliner Platzes und des Schönebecker Ufers für mehr als zwei Millionen Euro beginnen. Der Platz soll freundlicher werden. Die Menschen bleiben aber die selben. Für Schnickmann ist die Problematik des Berliner Platzes nicht nur mit einem Umbau zu lösen, sondern vor allem durch Präventionsarbeit.

Ein Mann sitzt auf dem Boden und fragt die Passanten nach Geld. Er hat leere Medikamentenpackungen vor sich ausgelegt, wohl um zu zeigen, auf welche Mittel er angewiesen ist. Schnickmann und der Mann grüßen sich. Der Lehrer sagt: „Er ist unheimlich freundlich.“ Und sein voller Münzbecher sei ein gutes Beispiel für das gute Herz des Viertels. „Die Tatsache, dass er von dem Geld überleben kann, zeigt auch Gemeinschaft.“