Bewährungshilfe: Letzte Rettung für Gewalttäter

Mehr als 55 000 Menschen in NRW werden jährlich von Bewährungshelfern betreut.

Foto: Stefan Fries

Wuppertal. In Dirk Jädkes Büro türmen sich die Akten. 80 Fälle bearbeitet er zurzeit — von Eigentums- bis Betäubungsmitteldelikten, von Sexualstraftaten bis Mord. Dirk Jädke ist Bewährungshelfer in Wuppertal, mit mehr als 1500 Fällen beschäftigen sich er und seine Kollegen momentan.

Sie unterstützen ehemalige Gefangene, die aus der Haft entlassen wurden, und solche, die mit einer Bewährungsstrafe noch einmal dem Gang ins Gefängnis entgehen konnten. Zwei bis fünf Jahre begleiten Jädke und seine Kollegen ihre Probanden — je nachdem, welche Tat zur Verurteilung geführt hat.

„Den Großteil unserer Arbeit machen die Eigentumsdelikte aus“, sagt Jädke. Einbrüche, Diebstähle oder Internetkriminalität. Insgesamt sind das etwa 40 Prozent. In etwa einem Viertel der Fälle geht es um Körperverletzung, rund 15 Prozent sind Betäubungsmitteldelikte, etwa 2,5 Prozent Sexualstraftaten. Zehn bis zwölf Prozent der Probanden sind weiblich. So könnte man die Arbeit seiner Dienststelle am Hofkamp 187, direkt gegenüber der Wupper, in Zahlen einteilen, sagt der 52-Jährige. Ansonsten sei es schwierig, Vergleiche anzustellen.

„So platt das auch klingt, jeder Fall ist anders“, sagt er. Einige verlassen die JVA und stehen mit gar nichts da — keine Wohnung, keine Familie, keine Angehörigen. Andere kommen aus dem Gefängnis und kehren sofort in ihr altes Leben zurück, als wäre nichts gewesen.

Jädke ist ein großer Mann mit einer freundlichen Stimme. Den Weg in seinen heutigen Job hat er erst über einen Umweg als Groß- und Außenhandelskaufmann gefunden. „Ich habe gemerkt, dass ich lieber etwas anderes machen wollte“, erzählt er. Jädke besucht eine Fachoberschule für Sozialpädagogik und leistet anschließend einen 20-monatigen Zivildienst in einer Fachklinik für Suchterkrankungen. „Da habe ich gemerkt, dass ich mit Menschen arbeiten will, die nicht auf der Sonnenseite geboren wurden.“

Er studiert Sozialarbeit und macht sein Anerkennungsjahr in der Bewährungshilfe. „Dieses Arbeitsfeld fand ich dann so interessant, dass ich hier auch bleiben wollte. Hier gibt es viele Probanden, die eine schwere Lebensgeschichte hinter sich haben und die es verdienen, dass man sich um sie kümmert.“ Seit 1996 arbeitet er in der Dienststelle an der Wupper. Sein Schwerpunkt: Sexualstraftäter und Gewalttäter.

Wenn er einen Probanden kennenlernt, spricht er zunächst mit ihm über die Tat. Die Tatverarbeitung ist zentraler Bestandteil der Rückfallvermeidung. Ein Ziel der Bewährungshilfe ist es, weitere Straftaten zu verhindern. Daneben geht es um ganz alltägliche Dinge: Wohnung mieten, Job finden, ein geregeltes Leben beginnen.

Was leicht klingt, kann für ehemalige Häftlinge recht schwierig sein. „Gerade nach Tötungsdelikten ist das der Fall“, sagt Jädke. Oft finden diese im familiären Umfeld oder im Bekanntenkreis statt. „Viele wenden sich dann natürlich ab“, sagt er.

Wenn es aus Jädkes Sicht keinen Bedarf an einer Bewährungshilfe gibt, weil die Lebensumstände geordnet sind, teilt er das dem Gericht mit, das den Bewährungshelfer dann aus seinem Amt entlassen kann. „Da nutzt man die Zeit lieber für Andere.“

Auch kann er sich an verurteilte Mörder erinnern, die nach ihrer Haftentlassung direkt Wohnung und Arbeitsstelle gefunden hätten und nicht wieder straffällig geworden seien. Etwa 70 Prozent der Bewährungshilfen gehen positiv aus.

Oft genug sei aber das Gegenteil der Fall. Häufig seien die schwierigsten Fälle die jungen Wiederholungstäter im Alter von 17 bis 25 Jahren. „Viele haben die Schule abgebrochen, können keine Termine einhalten, von Arbeit gar nicht zu sprechen.“ Da sind dann die Zeiträume oft zu kurz, dass eine Maßnahme ihr Ziel erreichen könne — schon ist die nächste Tat begangen und es geht wieder in die JVA. Die Arbeitslosenquote der Probanden liegt bei 60 Prozent.

„Manchmal wundert man sich auch gar nicht“, sagt er und erinnert sich an einen Probanden, den er erst vor kurzem kennengelernt hat. Im Alter von ein paar Monaten wurde dieser von seiner Mutter ausgesetzt, ist dann zuerst ins Heim und irgendwann zurück zu seiner Familie gekommen. „Da hat er mitbekommen, wie seine Mutter getrunken hat und seine Schwester vom Vater vergewaltigt wurde.“

Er suchte Zuflucht im Alkohol, nahm Drogen, wurde wegen Körperverletzungen und Betäubungsmittelvergehen verurteilt. Mehr als 30 Jahre seines Lebens hat der heute etwa 60-Jährige immer wieder im Gefängnis verbracht. Trotz — oder vielleicht auch genau wegen solcher Fälle liebt Jädke seinen Job.