Daniel Barenboim beeindruckt Wuppertal
Der Maestro reiste mit eigenem Flügel an und brachte drei Sonaten von Schubert mit.
Wuppertal. Daniel Barenboim wurde einmal als „das letzte Genie der klassischen Musik“ bezeichnet. Er galt als Wunderkind am Klavier, eroberte sich weltweit die Herzen als Pianist und Dirigent, engagiert sich als Friedensstifter im Nahen Osten. Seit Jahrzehnten sind seine Auftritte Publikumsmagnete. Nicht anders verhielt es sich auf dem Johannisberg, als der Maestro im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr mit einem eigens auf ihn maßgeschneiderten Flügel anreiste. Bis auf den letzten Platz war der Große Saal der Stadthalle besetzt. Der Andrang war so groß, dass sogar das Chorpodium für das aus Nah und Fern angereiste Publikum geöffnet wurde.
Es hat schon immer seriöse Musiker gegeben, die sich auf für sie sehr wichtige Werke konzentrieren. Beispielsweise war das Repertoire des Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli klein. Der in Elberfeld geborene Dirigent Günter Wand fand erst spät zu den Sinfonien Anton Bruckners. Mit der Interpretation der Fünften machte er internationale Karriere. „Bruckner hat mein Leben verändert“, sagte er einmal.
Ähnlich verhält es sich mit Daniel Barenboim und und den Klaviersonaten von Franz Schubert. Erst vor fünf Jahren trat er mit den elf vollendeten an die Öffentlichkeit. Seine Meinung dazu: „Schubert hat eine neue Welt entdeckt. In den Sonaten steckt Schuberts ganze Entwicklung. Ich glaube, dass jeder Komponist ein eigenes Medium hat, das ihm als persönliches Tagebuch dient. Bei Schubert waren das neben den Liedern auch die Klaviersonaten. Sie sind eine Offenbarung, eine spannende, hochinteressante Reise.“
Drei von ihnen - eine frühe aus der ersten Periode und zwei der letzten drei aus dem Todesjahr 1828 - stellte er nun in Wuppertal vor. Wie selbstverständlich, ohne ein Anzeichen von Lampenfieber, betrat der Starpianist das Podium, verbeugte sich ein paar Mal, setzte sich und vertiefte sich ohne Umstände in die a-Moll-Sonate (D 537) des damals 20-jährigen Komponisten.
Es überraschte, dass er in den beiden Allegro-Sätzen manche falschen Tasten traf und dieses Manko mit einer auffallenden Verwendung des rechten Pedals zu kaschieren versuchte. Auch die Ecksätze der Sonate in c-Moll (D 958) kamen nicht ohne solche Misstöne aus.
Dafür demonstrierte er in den Binnenteilen seine große gestalterische Gabe. Hier wurden die Strukturen und musikalischen Entwicklungen tief ausgelotet nachgezeichnet. Wie umgewandelt kam Baren-boim aus der Pause zurück. Denn Schuberts vorletzte Sonate in A-Dur (D 959) kam absolut schlüssig, ohne irgendwelche pianistischen Gefälle, von der Bühne.
„Schubert hat in den letzten Sonaten eine neue Welt entdeckt“, erklärte Barenboim einmal in einem Interview richtig. Denn hier werden alte Muster aufgehoben, wird harmonisch nach vorne gedacht, Richard Wagner und Gustav Mahler der Weg geebnet. Das brachte Barenboim lupenrein zum Ausdruck, entlockte seinem Instrument - eine Symbiose aus Hammerklavier und modernem Flügel - unter anderem traumhaft schöne orchestrale Klänge.
Einen großen Bogen spannte er außerdem vom zweiten Satz der Eingangssonate zum Finale des A-Dur-Werks mit ihren identischen Themen. Er deckte damit die kompositorische Entwicklung des noch ganz unter dem Vorbild Ludwig van Beethoven stehenden jungen Künstlers Anfang der Zwanziger bis zu einem eigenständig gereiften Menschen mustergültig auf.
Keinen hielt es zum Schluss mehr auf den Sitzen. Die stehenden Ovationen dauerten so lange, bis allen klar wurde, dass eine Zugabe ausfällt. Was würde sich auch nach dem gehaltvollen D 959 anbieten? Es war der Dank an eine bedeutende Persönlichkeit, die in den etwa 65 Jahren öffentlicher Präsenz in der klassischen Musikszene sowie kulturpolitisch eine Menge bewegt hat und gerade in der zweiten Konzerthälfte mit seinen großartigen pianistischen wie musikalischen Fähigkeiten beeindrucken konnte.