Dann gewinnen die Falschen
Nach tagelangen Diskussionen über die unselige Demonstration einer Nazi-Truppe in Wuppertal, über das Verhalten von Gegendemonstranten und Polizei, nach Tagen gegenseitiger Vorwürfe, nach vielen Mutmaßungen und Rückschlüssen ist es vielleicht an der Zeit, ein Fazit zu ziehen, ohne einen Strich unter das Thema zu machen.
Den Strich kann es erst geben, wenn alle Beteiligten ihre Arbeit erledigt haben. Von den leider hoffnungslos verirrten Rechten ist das nicht zu erwarten. Für alle anderen aber gilt, dass sie kollektiv versagt haben.
Das gilt für die Verantwortlichen in der Kreispolizeibehörde, die am gesamten Wochenende und auch in den Tagen danach den Deeskalations-Modus nicht fanden. Dabei spricht inzwischen einiges dafür, dass auf einen anscheinend nervigen, aber nicht linksextremen, geschweige denn gewalttätigen Gegendemonstranten unangemessen reagiert worden ist.
Des Versagens haben sich aber auch Teile der Gegendemonstranten schuldig gemacht, die in ihrem berechtigten Handeln allzu leichtfertig vergessen, wen sie da zuweilen an ihrer Seite haben, und dass die Polizisten nicht ihre Gegner sind. Die Beamten sind vielmehr diejenigen, die es mit solchen Ereignissen am schwersten haben. Es ist ihre Aufgabe, auch Demonstrationen zu schützen, die ausdrücklich nicht den Willen der breiten Mehrheit ausdrücken, auch nicht den der Polizisten.
Dabei spricht es für die demokratische Grundordnung, dass Deutschland gruselige Aufzüge selbst von Versagern zulässt, deren geistige Urgroßväter Europa in Schutt und Asche gelegt haben. Aber auch glühendsten Demokraten sollte an dieser Stelle die Frage erlaubt sein, wie weit Toleranz in Deutschland bei dessen Vorgeschichte eigentlich noch gehen muss.
Doch noch nicht einmal derlei eher unverfängliche Fragen sind in den vergangenen Tagen in Wuppertal gestellt worden. Statt dessen dünne Begründungen eines Landtagsabgeordneten dafür, dass er ein nicht von ihm selbst aufgenommenes Video der fraglichen Festnahme ungeprüft verbreitet hat, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Dazu blutleere Reaktionen aus der Polizeibehörde, die nicht darauf schließen lassen, dass die nachweislich erfolgreiche Moderations- und Deeskalationsstrategie der vergangenen Jahre auch in Zukunft das Maß der Dinge sein soll. So erweckt Polizeipräsident Markus Röhrl den hoffentlich falschen Eindruck, Exempel statuieren zu wollen, um als „Neuer“ Zeichen zu setzen. Das wäre ebenso fatal wie weiter davon auszugehen, dass bürgerliche Gegendemonstranten grundsätzlich mit Linksextremisten in einen Topf zu werfen sind. Wer gegen Rechtsextremisten demonstriert, der ist in den seltensten Fällen ein Linksextremist. Zum Glück.
Das mehr oder weniger gewollte Zusammenspiel von Rechtspopulisten in Parlamenten und Rechtsradikalen auf den Straßen hat längst dazu geführt, dass der Umgangston rauer und die Wahrnehmungsstörungen größer geworden sind. Dass sich auch hochdekorierte Wuppertaler Juristen per Facebook nicht entblöden, Migranten für alles verantwortlich zu machen, ist dafür ein beunruhigendes Indiz. Tatsache ist, dass die Zahl der beispielsweise in Wuppertal aufgenommenen Flüchtlinge rein gar nichts mit der Zahl der Kindergartenplätze, dem Zustand von Schulgebäuden und Straßen in dieser Stadt zu tun hat. Diese Folgen skandalös unterfinanzierter Kommunen erleiden Bürger seit zig Jahren.
Ja, Migration ist eine Herausforderung, auch in und für Wuppertal. Und ja, kein vernunftbegabter Mensch wird leugnen, dass diese große Aufgabe funktionierende Regelwerke benötigt, weil Kommunen sonst in die Knie gehen. Aber wenn auf dem Weg zum Regelwerk jeder über das Stöckchen springt, das Extremisten und Populisten derzeit jedem hinhalten, dann gewinnen am Ende wieder die Falschen.