Offen gesagt Das Herz eines Boxers

Wuppertal · Wuppertals Reichtum ist nie schnöder Mammon gewesen. Die Stadt hat nie im Geld geschwommen. Umso erstaunlicher ist es, was die Stadt trotzdem zu bieten hat.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Ja, es stimmt: Wuppertal ist nicht auf Rosen gebettet. Die Zeiten, in denen Barmen und Elberfeld Federn in die Luft blasen konnten, liegen lang zurück. Wer weiß denn heute noch, dass Düsseldorf nur von Gnaden der großen Nachbarstädte Elberfeld und Barmen wurde, was es ist? Niemand weiß es mehr, na ja, kaum jemand. Und im Grunde ist es auch egal. Elberfeld und Barmen sind heute mit Vohwinkel, Ronsdorf und Cronenberg Wuppertal. Und Wuppertal wird heute 90 Jahre alt – stolze, selbstbewusste, glückliche, überwiegend schöne, teils schwierige, schreckliche, bedrückende 90. Was hat diese Stadt nicht alles erlebt? Was hätte sie sich nicht alles besser erspart?

Nein, Wuppertal ist nicht auf Rosen gebettet, war es nie, wird es vermutlich auch nie sein. Jedenfalls nicht so wie vielleicht Hamburg, München oder Monheim am Rhein. Wuppertals Reichtum ist nie schnöder Mammon gewesen. Die Stadt hat nie im Geld geschwommen. Schon zu Zeiten ihrer Gründung waren die Kassen leer, und sie sind nie jemals richtig voll geworden.

Umso erstaunlicher ist, was Wuppertal trotzdem zu bieten hat. Freizeit, Bildung, Kultur, Architektur, Landschaft - das meiste nicht geschenkt, fast alles hart erarbeitet. Menschen mit Wurzeln in mehr als 180 Staaten dieser Erde machen Wuppertal zu einem Schmelztiegel der Kulturen. Und es spricht für die Mentalität der Menschen im Bergischen Land, dass in diesem Tiegel nichts überkocht. Selbstverständlich ist auch zwischen Vohwinkel und Beyenburg nicht alles eitel Sonnenschein. Es gibt auch in Wuppertal zu viele Menschen auf der Schattenseite des Lebens, es gibt die, die es trotzdem schaffen und andere schaffen es nie.

All das ist unübersehbar vor allem in der City, wenn die Sonne langsam untergeht. Aber es gehört zu einer Großstadt, es gehört zu einer Stadt, die seit Jahrzehnten in einem Strukturwandel steht, dessen Ende noch nicht absehbar ist, während sich der nächste bereits ankündigt. Und es gehört zu Wuppertal, dass solche Schicksale nicht achselzuckend hingenommen werden.

Es liegt an den Bürgern, an den Einwohnern dieser Stadt, dass Wuppertal trotzdem funktioniert. Es hat das Herz eines Boxers, der sich dem Widerstand nicht beugt. Wuppertal schaut nicht weg, wo Armut ist, Wuppertal versteht Wohlstand als Auftrag, sich am Werden des Gemeinwesens zu beteiligen. Deshalb ist es den Übelkrähen, den Verzagern und Versagern auch noch nicht gelungen, einen Spalt in die Gesellschaft dieser Stadt zu treiben. Es wird ihnen nicht gelingen, weil die Wuppertaler sind, wie sie sind.

Ja, das Glas ist halbvoll, aber es ist ein großes Glas. Und der Weg, es ganz zu füllen, ist ein weiter. Ihn zu bewältigen, braucht gemeinsame Überzeugungen und gemeinsame Anstrengungen.

Wuppertal feiert Geburtstag. 90 Jahre liegen hinter der Stadt und noch viel mehr Jahre liegen vor ihr. Das sollten die Menschen in dieser Stadt heute feiern an einem Langen Tisch, der leider ein wenig kurz geraten ist. Was soll’s? Wuppertal war immer dann am besten, wenn es sich selbst hat hochleben lassen.

Gründe dafür gibt es doch genug. Sie stehen wunderbar bunt am Loh, sie verbinden Vohwinkel mit Sprockhövel, sie schweben von der Kaiserstraße zum Berliner Platz, sie brüllen an der Hubertusallee, sie singen im Burgholz, sie thronen am Grifflenberg, sie strahlen am Johannisberg - sie lachen, tanzen, essen und trinken heute zwischen Kluse und Opernhaus, am Islandufer, in den Stadtteilen. Sie schwelgen im Gestern, sie freuen sich aufs Morgen. Und, als wüsste der Himmel, welche Stunde Wuppertal geschlagen hat, lacht die Sonne dazu.

Herzlichen Glückwunsch Wuppertal, herzlichen Glückwunsch Wuppertaler. Es mag 100 Gründe geben, diese Stadt zu verlassen, aber es gibt mindestens 1000 zu bleiben. Auch in 90 Jahren noch.