„Das Politische ist in der Literatur“

Michael Zeller stellt dem Publikum der Literatur Biennale seine ukrainischen Kollegen Zhadan und Andruchowytsch vor.

Foto: Stefan Fries/R. Komarowski/Susanne Schleyer/Suhrkamp

Wuppertal. Die Literatur Biennale belegt die Abende des Schriftstellers Michael Zeller in dieser Woche weitgehend mit Beschlag. Heute liest er aus seiner eigenen Erzählung „Ludwigslust“ bei der „Lesung mit Aussicht“ (s. Kasten). Am Freitag und Samstag moderiert er die Veranstaltungen von zwei ukrainischen Kollegen: „Serhij Zhadan und Juri Andruchowytsch sind mittlerweile die führenden Autoren ihres Landes.“

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Eines Landes, das seit Februar 2014 im Krieg feststeckt, aber in der medialen Aufmerksamkeit mittlerweile auf dem Abstellgleis gelandet ist. Doch die Kämpfe zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten gehen in der Ostukraine unvermindert weiter, die Waffenruhe ist seit Monaten mehr als brüchig. Eines Landes, das weit, weit weg scheint — dabei hat Deutschland erst 2012 bei der Fußball-EM in Zhadans ost-ukrainischer Heimatstadt Charkiw 2:1 gegen die Niederlande gewonnen.

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Zeller kennt die beiden Lyriker und Romanautoren seit mehr als 20 Jahren, hat mit ihnen bereits einige Lesereisen durch die Ukraine gemacht — vergnügliche und durchaus alkoholbefeuerte Veranstaltungen, die sehr gut besucht seien. „Viele sprechen dort deutsch, gerade die Jüngeren, die sich davon bessere Einstellungs-chancen bei einem deutschen Unternehmen erhoffen“, sagt Zeller.

Zugleich lastet der Krieg auf dem alltäglichen Leben. Serhij Zhadan (Jahrgang 1974) fahre regelmäßig Hilfstransporte an die Front, schreibe darüber Reportagen, auch für deutsche Medien, hat er Zeller berichtet: „Die zerfledderten Leichen, die er auf beiden Seiten sehen muss, gehen ihm natürlich lange nicht mehr aus dem Kopf.“

Für Juri Andruchowytsch (Jahrgang 1960), der im westukrainischen Lemberg lebt, habe sich im Alltag nichts geändert, allenfalls dass die Fußballmannschaften aus dem Osten ihre Ligaspiele jetzt dort austragen. Doch auch er war 2013/14 bei dem Aufstand auf dem Maidan-Platz dabei, hat immer wieder über die politischen Verhältnisse in seinem Land berichtet.

Doch bei der Biennale soll es schließlich vornehmlich um die Literatur gehen. Zeller beugt deshalb den Erwartungen eines deutschen Publikums vor, das oft politische Einschätzungen oder Beurteilungen von Politikern wie dem abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowytsch abfrage. „Ich möchte im Ausland auch nicht gefragt werden, was ich von Frau Merkel halte“, sagt Zeller. „Das Politischste, was die beiden bieten können, sind ihre Texte.“ Denn sie seien zwar engagiert, aber eben keine politischen Journalisten. Ihre Sicht der Dinge zeige sich in ihren Werken, die seit Jahren auch auf Deutsch erscheinen.

Zhadan entwirft in seinen Romanen meist groteske gesellschaftliche Panoramen, seine jüngsten, noch unveröffentlichten Gedichte, aus denen er in Wuppertal lesen wird, sind laut Zeller allerdings voller Krieg. Das Chaos der post-sowjetischen Gesellschaft spiegelt Juri Andruchowytsch satirisch in seinen Romanen und Erzählungen.

„Utopie Heimat“ heißt das Thema der Biennale — für die Ukrainer, die bis 1991 zur Sowjet—Union gehörten, ein vielschichtiges Thema. Die eigene Sprache, die in der Sowjetzeit meist unterdrückt wurde, ist immerhin ein Element, das die Identität stärkt, doch sie wird längst nicht von allen gesprochen. Die Werke werden deshalb weiter ins Russische übersetzt - ob aber heute noch Russen Bücher von Ukrainern lesen, will Zeller bei seinen Moderationen erfragen.

Dabei kann er gleich die Zähigkeit von Literaten loben. Serhij Zhadan setzt sich mit seiner siebenköpfigen Band „Hunde des Weltalls“, die Ska, osteuropäische Polka und Punkrock kraftvoll verrührt, für die ganze 2315 Kilometer lange Strecke in einen Bus, um am Samstag im Sommerloch aufzutreten.