Demenz: „Pflegende Angehörige müssen besser unterstützt werden“

Jochen Schmidt von der Alzheimer Gesellschaft Wuppertal und Susanne Bäcker (Demenz-Servicezentrum) im Gespräch.

Frau Bäcker, Herr Schmidt, Demenz ist trotz aller Aufklärung nach wie vor ein sehr unbequemes Thema. Warum?

Jochen Schmidt: Weil es Ängste auslöst. Vor dem Alter, vor Kontrollverlust, vor Versagen.

Versagen?

Susanne Bäcker: Wir haben zu funktionieren, gewissermaßen auch beim Sterben. Unsere Gesellschaft akzeptiert Unfälle oder körperliche Krankheiten als Schicksalsschläge. Mit Demenz und dem langsamen Tod alter Menschen aber kann sie immer noch nicht gut umgehen.

Wann beginnt Demenz?

Schmidt: Das lässt sich nicht eindeutig sagen und ist in jedem Einzelfall anders. Doch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung beginnt Demenz, sobald ein Mensch nicht mehr funktioniert, wie es sein Lebensumfeld von ihm erwartet. Um es drastisch zu formulieren: Sobald er anfängt zu stören.

Es ist eben keine Erkrankung wie Krebs. . .

Bäcker: Nach wie vor wird darüber diskutiert, ob Demenz überhaupt eine degenerative Erkrankung des Gehirns ist, oder ob die massive Veränderung schlicht als Konsequenz des hohen Alters angesehen werden muss.

Und damit als „normaler“?

Bäcker: Zumindest ist noch weit mehr Akzeptanz erforderlich. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan.

Was zum Beispiel?

Schmidt: Zunächst einmal hat sich natürlich die Gesellschaft verändert und entsprechend auch der Umgang mit Demenz: Es leben heute viel mehr Menschen allein, dadurch wird Demenz sichtbarer als in Zeiten, in denen die Leute vom sozialen System getragen und in erster Linie von Familienangehörigen gepflegt wurden. Vor 20 Jahren sind wir rein statistisch gesehen viel früher gestorben. Jetzt werden wir so alt, dass die Wahrscheinlichkeit, dement zu werden, relativ hoch ist.

Bäcker: Positiv ist die Entwicklung, nicht mehr allein die Defizite eines Dementen zu sehen als vielmehr seine Fähigkeiten: Die wurden dementiell Erkrankten noch bis vor wenigen Jahren abgesprochen.

Welche Fähigkeiten?

Schmidt: Menschen mit Demenz können nicht mehr denken wie früher. Was sie aber können — und das stärker und echter — das ist Fühlen. Sie leben Gefühle, sind echt durch und durch. Für die Gesellschaft wäre es eine Bereicherung, wenn diese Eigenschaft stärker als Wert begriffen würde.

Was muss sich in der Pflege ändern?

Bäcker: Gute Versorgung kostet. Pflegeberufe müssen attraktiver gestaltet werden, damit es in Zukunft gut ausgebildetes Fachpersonal gibt, das nicht ständig am Rande der Überforderung steht.

Das klingt teuer.

Schmidt: Von einer deutlichen Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung ist richtigerweise auszugehen — dabei handelt es sich um eine gesellschaftliche Verantwortung. Sie liegt in unserem höchsteigenen Interesse: Was wir heute gestalten, kommt morgen uns selbst zugute.

Leicht gesagt in Zeiten des Pflegenotstands.

Schmidt (lacht): Den gab es schon vor 30 Jahren. Trotzdem wurde viel auf die Beine gestellt und Neues gewagt. Uns sind ein wenig Mut und Kreativität abhandengekommen.

Wohin sollte die Entwicklung gehen?

Bäcker: Pflege muss stärker auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet werden. Wir brauchen mehr alternative Wohnformen wie Demenz-Wohngemeinschaften, Mehrgenerationenhäuser. Es ist wichtig, eine wohnortnahe, gute Versorgung für die Betroffenen herzustellen.

Sind die Angehörigen eines Menschen mit Demenz nicht auch Betroffene?

Bäcker: Ganz klar. Wir müssen Angehörige besser unterstützen und ihre oft schweren Entscheidungen begleiten — in Einrichtungen, Krankenhäusern, aber auch in der Beratung. Ein Beispiel aus unserer Praxis ist der pflegende Angehörige, der sich von Ärzten gedrängt fühlte, seine schwerst demente Frau mittels einer Magensonde ernähren zu lassen. Er sagt heute: „Ich wüsste nicht, ob ich diese Entscheidung noch einmal so treffen würde.“ Aber damals habe ihn niemand beraten. Dankenswerterweise gibt es heute viel mehr Unterstützungsangebote.

Am Mittwoch veranstalten Sie erstmals eine Demenz-Fachtagung. An wen richtet sie sich?

Schmidt: An Fachkräfte, Mitarbeiter der Pflege, Vertreter der Ärzteschaft, der Verwaltung, aus Einrichtungen und Krankenhäusern — doch wir möchten natürlich auch Angehörige ansprechen.

Der Titel der Tagung lautet: „Wege der Begleitung von Menschen mit Demenz in ihrer letzten Lebensphase?“ Wann beginnt diese Phase?

Schmidt: Rein statistisch gesehen sind es sieben Jahre von der Diagnosestellung bis zum Tod. Mit der Frage, wie diese Zeit gestaltet werden kann, befassen wir uns am Mittwoch ebenfalls. Dabei wird es auch um lebensverlängernde Maßnahmen gehen.

Ein heikles Thema.

Bäcker: Das aber wichtig ist. Wir erwarten dazu regen Austausch und Anregungen. Die Resonanz im Vorfeld ist überaus positiv: Es gibt schon mehr als 160 Anmeldungen, aus Wuppertal und über das Bergische Land hinaus.