„Der Geist von Barmen lebt“ - 80 Jahre Theologische Erklärung
Pfarrer Martin Engels erklärt im WZ-Gespräch, warum die Barmer Theologische Erklärung noch heute Wirkungskraft besitzt.
Wuppertal. Jetzt jährt sie sich zum 80. Mal: Die Barmer Theologische Erklärung von 1934. Die vom 29. bis zum 31. Mai 1934 in der Gemarker Kirche tagende Synode der Bekennenden Kirche grenzte sich damals vom nationalsozialistischen Führerstaat ab (siehe Bericht unten). Eine neue Ausstellung in der Gemarker Kirche erinnert nun an die Erklärung, die auf der Bekenntnissynode verabschiedet wurde. Pfarrer Martin Engels hat die Ausstellungskonzeption für den Kirchenkreis koordiniert - die WZ sprach mit ihm über die Schau und darüber, wie aktuell die Barmer Erklärung noch heute ist.
Wenn wir an die Barmer Erklärung erinnern - erinnern wir uns da an einen mutigen Akt des Widerstandes? Oder eher an einen Akt kirchlichen Eigensinns, der einfach dem Staat signalisieren sollte: Haltet Euch aus unseren Angelegenheiten heraus?
Martin Engels: In der Tat beides - weil die Barmer Erklärung in erster Linie nicht politisch war. Sie war zwar schon ein Akt des Widerstandes, aber in erster Linie auf die Kirche gerichtet. Sie war eine Reaktion darauf, dass die Nationalsozialisten in die Kirche — in ihre Form, ihre Struktur, in das, was sie verkündet — eindringen und sie so letztlich zerstören wollten.
Was macht ihre Wirkungskraft aus?
Engels: Die Barmer Erklärung ist eine zutiefst theologische Schrift — das sagt ja ihr voller Name. Sie wird aber dadurch, dass Kirche sich auf das besinnt, was sie trägt, was Kirche ausmacht, was sie zu verkündigen hat, wo sie ihre Quelle hat und wie sie gestaltet werden soll, zutiefst politisch. Sie war zwar zunächst gar nicht nach außen gerichtet, sondern nur auf den Kern der Kirche, aber entfaltete andererseits dadurch eine widerständige Kraft. Wobei man andererseits eingestehen muss: Die Barmer Theologische Erklärung ist für die Bekennende Kirche zu einer Art Magna Charta, einem Fundament geworden, aber sie hat leider nicht dazu geführt, dass die Evangelische Kirche als große Widerstandszelle im Dritten Reich agiert hat.
Weswegen kritische Stimmen bis heute sagen, im Grunde sei die Erklärung in ihrer Tragkraft überschätzt. . .
Engels: Das würde ich nicht so sehen. Bis auf den heutigen Tag wirkt sie nach, allerdings vor allem in der Kirche. Auf der ganzen Welt, vor allem dort, wo Christen unter Zumutungen leben müssen — wie in Südafrika während der Apartheid oder in Ägypten, mit einem Pfarrer dort bin ich befreundet — ist die Barmer Erklärung nach wie vor eine Quelle der Kraft. Doch auch überall sonst lohnt die Frage: Was ist der Geist des Barmer Bekenntnisses?
Und - was macht diesen Geist aus?
Engels: Vorweg: Der lässt sich nicht an dieser Gemarker Kirche oder an irgendeiner Stelle festmachen. Deswegen machen wir mit unserer Ausstellung auch nicht die Kirche zu einer Wallfahrtsstätte. Der Geist von Barmen weht im Prinzip überall dort, wo eine lebendige Predigt, ein lebendiger Gottesdienst herrscht. Wo eine lebendige Gemeinde ist, die sich um das Wort Gottes jeden Sonntag neu versammelt und Orientierung sucht.
Also hat der historische Ort, die Gemarker Kirche, im Grunde keine Bedeutung?
Engels: So weit würde ich nicht gehen. Wir machen diese Ausstellung natürlich hier, weil die Kirche hier den historischen Anknüpfungspunkt hat, weil die Erklärung hier entstanden ist. Und natürlich ist auch hier der Geist von Barmen lebendig — in der Citykirchen-Arbeit, in der einzigartigen Nachbarschaft zur Bergischen Synagoge, in der Nagelkreuz-Gemeinschaft mit Coventry, die Zeichen der Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig hält. Insofern ist die Gemarker Kirche ein weltweit historisch bedeutsamer Ort.
Die Ausstellung steht zugleich auch im Zeichen der kirchlichen Jubiläums-Dekade zu 500 Jahren Reformation bis 2017. Das Thema in diesem Jahr ist: Reformation und Politik.
Engels: Und so zeigt die Ausstellung, dass Reformation nicht nur im 16. Jahrhundert in Wittenberg und Eisleben, mit Luther, Calvin und Zwingli passiert ist. Nein: Reformation hat auch im 20. Jahrhundert stattgefunden, hier vor unserer Haustür. Die Teilnehmer der Barmer Bekenntnissynode haben das auch ganz klar so empfunden: Dass das, was die da besprechen und beschließen, ein reformatorischer Akt ist.
Um es nochmal auf einen Satz zu bringen: Was ist die zentrale Botschaft der Barmer Erklärung?
Engels: Schlicht und einfach: Dass die Kirche nichts anderes zu verkündigen hat als das Wort Gottes, das für uns in Jesus Christus lebendig geworden ist — und nichts und niemandem anders im Leben und Sterben zu gehorchen hat. Das und nichts anderes ist das Fundament, was die evangelische Kirche trägt.