Kirche Der Ruhetag war eine Revolution
Juden und Christen haben den freien Tag eingeführt. Werner Kleine erklärt dessen Bedeutung.
Die vielleicht erste arbeitsrechtliche Regelung kommt aus dem Alten Testament. In der Schöpfungsgeschichte wird beschrieben, dass Gott am siebten Tag ruhte. Und außerdem „Rind, Esel, Fremde, Sklaven, der Sohn der Sklavin und man selbst“, zählt Werner Kleine, Pastoralreferent der katholischen Citykirche, auf. Bei den Juden trifft das den Samstag, den Sabbat. Bis heute der Ruhetag der Juden, der Tag, an dem in Israel beinahe gar nichts geht.
In der christlichen Kultur habe sich das dann anders entwickelt, erklärt Kleine. Denn die ersten Christen haben am ersten Tag der Woche ihre Zusammenkunft gefeiert – am Sonntag. „Der Tag der Auferstehung Christi“, erklärt Kleine. Unter Juden aber normaler Arbeitstag – für die ersten Christen war das also eine Herausforderung, sich im Getöse eines Wochentags zu versammeln.
Das, so führt Kleine aus, habe sich dann im römischen Reich geändert. Unter Constantin wurde das Christentum im Jahr 321 Staatsreligion. Der Versammlungstag der Ruhetag. Martin Luther hat vom Sonntag als Festtag gesprochen. So erklärt Kleine den Wandel vom Sabbat zum Sonntag, den Unterschied zwischen den christlichen und jüdischen Ruhetagen, die auf der gleichen Grundlage basieren.
Während aber in Israel der Ruhetag noch relativ strikt eingehalten wird, man kaum einen geöffneten Laden findet, der Busverkehr beruhigt ist und bei streng Gläubigen nicht einmal Auto gefahren oder telefoniert wird, ist der Ruhetag in der christlichen Welt meist nicht mehr so ruhig. Hier werden Sonntage für große Ausflüge genutzt – im besten Fall. Auch Reisen, Einkaufen, Arbeiten – alles beinahe mehr die Regel als die Ausnahme. Zumindest nicht mehr sonderlich ungewöhnlich.
Der Ruhetag entspricht
auch der menschlichen Natur
Kleine bedauert die Entwicklung ein wenig – denn der Ruhetag sei eine kulturelle Revolution gewesen. Eine, die auch der menschlichen Natur entspreche. Kleine weiß etwa, dass man auch im Sozialismus versucht habe, eine Zehn-Tage-Woche einzuführen, aber am Ende zu sieben Tagen zurückgekehrt sei. Man habe das nicht durchsetzen können.
Dabei ist Kleine nicht per se gegen geschäftiges Treiben am Sonntag oder Feiertag. „Gottesdienste im prallen Leben zu feiern, ist eine urchristliche Erfahrung“, denkt er an die Zeit der ersten Christen zurück. Und er geht auch darüber hinaus: „Wer am Karfreitag tanzen will, soll das tun. Ich sehe das sehr entspannt.“ Man solle aber nicht vergessen, dass nur der christlich begründete Feiertag das überhaupt möglich mache. Andernfalls müssten eben alle arbeiten.
Er gibt zu bedenken, dass das „Gespür für die Notwendigkeit des Ruhetags verloren gegangen“ sei. Er sieht die ganze Entwicklung der Gesellschaft als bedenklich – die immer häufigere Arbeit am Sonntag, die verkaufsoffenen Sonntage, die Redensart von „Work-Life-Balance“. „Wir müssen uns wieder klarmachen, welchen Wert Arbeit hat – und dass sie auch zum Leben gehört“, sagt er. Gleiches gilt für ihn für Religion. Denn sie gebe „Lebensrhythmen“, „Synchronisierung“. Zeitpunkte, an denen alle das gleiche täten. Wie bei der Fußball-WM – wenn Deutschland nicht gerade früh ausscheidet und der gemeinsame Rhythmus wieder verloren geht.
So einen Rhythmus habe die Kirche mit dem Sabbat oder Sonntag geschaffen. „Ein Signal in den Alltag der Menschen“ gesendet, betont Kleine die Relevanz des Ruhetags und der festgelegten Feste. So ein Signal müsse die Kirche heute wieder senden. „Aber die Kirchen haben den Alltag der Menschen verloren“, gibt er zu bedenken.
Die Entwicklung heute sieht er als „Rollback“, als Rückschritt. „Wenn man das weiterdenkt, werden irgendwann alle sonntags arbeiten – dann kann keiner mehr am Sonntag einkaufen.“
Kleine gibt als Gegenvorschlag zu bedenken, dass gerade in letzter Zeit immer wieder von der christlich-jüdischen Tradition gesprochen werde, und fordert – „mit einem Augenzwinkern“ – dass man neben dem Sonntag auch den Sabbat wieder einführen sollte, um zumindest einen Ruhetag zu sichern.