Gesellschaft und Soziales Mit den „Dia Kids“ gibt es nun eine Wuppertaler Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Kinder an Diabetes erkrankt sind

Wuppertal · Den Zukunftsängsten gemeinsam begegnen

Pascal Wimmershoff und Tochter Carlotta (2) halten zusammen. „Die Familie ist alles“, sagt der Gründer der Diabetes-Selbsthilfegruppe „Dia Kids“.

Foto: Anna Schwartz

Als seine zweijährige Tochter Carlotta im Januar die Diagnose Diabetes erhielt, war für Pascal Wimmershoff klar: „Jetzt brauchen wir Hilfe.“ Und zwar Hilfe, die über die reine medizinische Versorgung hinausgeht. Denn Jonathan, der achtjährige Sohn, hatte diese Diagnose bereits vor zwei Jahren erhalten.

„Unsere Kinder sind im Helios-Klinikum in Behandlung“, erzählt der Wuppertaler. „Die Behandlung bezieht sich nur auf den Diabetes und zum Beispiel die Anpassung des Insulinplans, aber das Leben mit der Erkrankung und das soziale Umfeld sind ebenso wichtig und werden kaum unterstützt.“ Daher gründete er nun eine Selbsthilfegruppe, die unter dem Namen „Dia Kids Wuppertal“ in Zusammenarbeit mit dem Helios Bildungszentrum und der Selbsthilfe-Kontaktstelle der Stadt Wuppertal agiert. Das Angebot richtet sich an Eltern, deren Kinder an Diabetes erkrankt sind.

Die Diagnose ist auch für die Eltern eine Herausforderung, „mit der wir am Anfang überfordert waren“, erzählt Wimmershoff. „Als die Diagnose kam und ich mit meinen Kindern im Krankenhaus war, habe ich jeden Tag angefangen zu heulen. Meine Frau und mich hat das so runtergezogen, weil uns klar war, welche Einschnitte es nicht nur für unser Leben, sondern vor allem für das Leben unserer Kinder hat und sie mit Zukunftsängsten versieht.“ Bei Diabetes verliert die Bauchspeicheldrüse ihre Funktion: „Und das ist auch nicht heilbar – es sei denn, man hätte die Chance, eine Bauchspeicheldrüse zu ersetzen.“

Das ist die Medizin. Doch welche Folgen dies darüber hinaus hat, wird vielen anfangs nicht klar. Eine sogenannte Integrationskraft begleitet Jonathan mittlerweile in die Schule, „denn ohne diese Begleitung ist eine Teilnahme am Unterricht nicht möglich“. Die Integrationskraft beobachte den Blutzucker, sorge vor dem Essen mithilfe einer Pumpe für das Insulin und versorge Jonathan etwa mit Traubenzucker oder Trinkpäckchen.

Für Carlotta, die in den Kindergarten geht, haben ihre Eltern ebenfalls eine Integrationskraft beantragt: „Aber das kann dauern.“ Bis dahin müsse sie entweder zuhause bleiben „oder ein Elternteil geht mit“. Während Wimmershoff bei den Wuppertaler Stadtwerken als Fahrzeugdisponent im Schichtdienst arbeitet, hat seine Frau ihren Job vorerst aufgegeben. „Die Erzieher könnten dies theoretisch übernehmen, dürfen es aber seitens des Trägers nicht.“

Der Alltag der Eltern hat sich größtenteils verändert: „Unser Tag fängt damit an, dass wir die Werte unserer Kinder prüfen. Dann bereiten wir das Frühstück zu, wofür wir alles genau abwiegen müssen. Jonathan isst gern Müsli.“ Das sei auch kein Problem, denn das Vorurteil, Diabetes-Patienten dürften nichts Süßes mehr essen, sei falsch: „Es muss nur die entsprechende Menge Insulin berechnet werden. Carlotta ist da immer etwas wählerischer, aber dann können beide frühstücken, während meine Frau und ich noch die Frühstücksbox vorbereiten, die auch genau abgemessen werden muss.“ Doch das ist nur der Anfang – „und über alles andere wollen wir in der Selbsthilfegruppe sprechen“.

So sei etwa der Wechsel des Katheters ein Riesenkampf. „Der Prozess an sich dauert fünf Sekunden, kann aber zwei Stunden in Anspruch nehmen, weil nun mal eine Nadel ins Kind geschossen wird. Das wissen sie auch und wehren sich dagegen.“ Es wird unter anderem um Pflegegrade gehen, die viele Eltern nicht beantragen würden, obwohl dies möglich sei. „Wir wollen uns auch darüber austauschen, ob es sinnvoll ist, einen Grad der Behinderung zu beantragen, welche Hilfsmittel nötig sind und wie man damit umgeht, wenn Unterzuckerung in der Nacht auftritt.“ Auch Anträge bei den Krankenkassen, etwa zur Verhinderungspflege, seien aufwändig. „Denn sobald die Kassen Geld bezahlen sollen, wird es schwierig.“

Das Konzept der „Dia Kids Wuppertal“ bestehe darin, zu jedem Treffen einen Gastredner einzuladen, der zu Beginn eine halbe bis dreiviertel Stunde über ein Thema spricht. Zum Auftakt kommt Sandra Reinert von der Diabetes-Ambulanz des Helios-Klinikums.

Lockere Gespräche trotz
des ernsten Themas

Auch wenn das Thema ernst ist, trägt die Gruppe mit „Dia Kids“ einen entspannten Namen; Wimmershoff bezeichnet seine Kinder gern als Dia-Tiger. „Wir wollen soviel Lockerheit wie möglich einbringen, denn bei einer ausschließlich ernsten Gesprächsatmosphäre ist es viel schwieriger, sich zu öffnen.“

Ansatz sei jedoch nicht nur der Austausch, sondern auch, gemeinsame Freizeitaktivitäten zu gestalten. „Wir möchten erreichen, dass die Kinder auch zu Freunden dürfen, ohne dass die Eltern dabei sein müssen. Dass sie merken: Es gibt auch ein Leben ohne Mama und Papa, sonst wird der Abnabelungsprozess nicht funktionieren. Wir haben aber noch niemanden kennengelernt, mit dem das möglich ist. Das erhoffen wir uns nun.“

Dass seine Frau und er die Motivation niemals aufgeben, sei eine Selbstverständlichkeit. „Natürlich geht das an die Substanz. Aber unsere Kinder sind alles im Leben. Sie sind das Wichtigste, was wir haben. Also geben wir 100 Prozent Vollgas, selbst wenn wir jeden Tag kämpfen müssen und manchmal in der Nacht sieben Mal aufstehen, weil es mehrfach Alarm gibt.“