Engels-Jahr „Die Frage der Religion lässt Friedrich Engels nicht los“
Wuppertal · Im Jubiläumsjahr gibt es viele Veranstaltungen rund um Friedrich Engels. In der Reihe „Das Gespräch“ stand in Ronsdorf diesmal sein Verhältnis zur Religion auf dem Programm.
Friedrich Engels ist auch dort, wo man ihn eher nicht erwartet. So gab es am Dienstagabend einen Engels-Abend im katholischen Gemeindezentrum in Ronsdorf – im Rahmen der Vortragsreihe „Das Gespräch“, die seit über 50 Jahren fest zum Bildungsprogramm der Gemeinde St. Joseph gehört.
Beim berühmten Sohn der Stadt mögen die meisten an „Das kommunistische Manifest“ und nicht ans Christentum denken. Schon der Titel der Veranstaltung, „Religion und Revolution“, trat diesem Eindruck entgegen. Mit beiden Themen kennt sich der Historiker und Theologe Wolfgang E. Heinrichs aus. An der Uni Wuppertal lehrt er Neuere Geschichte – mit Schwerpunkt Kirchengeschichte – und ist daneben als Pastor im Bund Freier evangelischer Gemeinden aktiv.
Sein Vortrag zielte darauf ab, ein oft einseitig vermitteltes Engels-Bild zurechtzurücken. Unbestritten ist, dass Engels mit seinem Freund Karl Marx Religion als „Opium des Volkes“ definiert hat. In ihren Augen ist sie ein Mittel, das von sozialen Problemen ablenkt, anstatt sie zu lösen. Trotz dieser kritischen Diagnose, so Heinrichs, gebe es beim Denker Engels durchaus religiöse Bezüge.
Um Engels‘ „geistige Grundbefindlichkeit“ darzustellen, warf Heinrichs zunächst einen Blick auf die in der Familie gepflegte Frömmigkeit. Bereits beim Großvater habe sich Pietismus mit der Aufgeschlossenheit des Bildungsbürgers verbunden. Den Vater beschrieb Heinrichs als „weltlich und sinnenfreudig“. Friedrich und seine Geschwister hätten eine für damalige Verhältnisse liberale Erziehung genossen. Zum Konflikt mit den Eltern komme es dann nicht aus religiösen, sondern aus politischen Gründen. Am Konservativismus des Vaters habe sich der Sohn förmlich abgearbeitet.
Ausdruck politischer Opposition sind auch die „Briefe aus dem Wuppertal“, die der Kaufmannslehrling Engels 1839 unter Pseudonym veröffentlicht. In ihnen, erklärte Heinrichs, kritisiere der Verfasser den „Mystizismus“ – einen schwärmerischen Pietismus, der dem eigenen Ideal einer vernunftgeleiteten Religion widerspreche. Ein Angriffsziel sind Prediger, die die Gläubigen mit Theatralik auf ihre Seite zu ziehen versuchen. Ein anderes sind bigotte Bürger, die die Augen vor dem Elend der Arbeiter verschließen.
Engels bezeichnete sich
selbst als Supranaturalist
Die Schriften der 1840er Jahre – der gebürtige Barmer lebt und arbeitet mittlerweile in England – widmen sich verstärkt der sozialen Frage. Er erlebt Arbeiterversammlungen und Streiks mit. In diese Zeit fällt auch die Abkehr vom „Kinderglauben“ der Wuppertaler Jahre. Von einem Atheismus wollte Heinrichs aber nicht sprechen: „Die Frage der Religion lässt Friedrich Engels nicht los.“ Er zitierte aus einem Brief, in dem sich Engels als „Supranaturalist“ bezeichnet – also als einen, der an ein übernatürliches Prinzip glaubt.
Neben sozialistischen Theorien beschäftigt sich Engels mit einer wissenschaftlich-kritischen Auslegung der Bibel. Diese theoretische Basis hat Engels später dazu gebracht, die Offenbarung des Johannes als Vorboten einer politischen Revolution zu deuten. In seiner Schrift „Zur Geschichte des Urchristentums“, die ein Jahr vor seinem Tod entsteht, vergleicht er die zeitgenössischen kommunistischen Gruppen mit den ersten christlichen Gemeinden.
Diese Gleichsetzung führte zu Nachfragen aus dem Publikum. Für Heinrichs lag dieser Gedanke nicht so fern. Urchristen wie Kommunisten hätten einen sektiererischen Charakter gehabt. Andere Zuhörer fragten nach Engels‘ praktischem Engagement für die Arbeiter. „Er hat schon eine soziale Ader gehabt“, betonte der Referent. Dennoch habe sich Engels vor allem als Theoretiker der Arbeiterbewegung verstanden. Die sozial-karitativen Maßnahmen mancher Fabrikanten seien ihm suspekt gewesen, da sie Abhängigkeitsverhältnisse gefördert hätten. Deshalb habe er auch das Bemühen der Kirchen kritisiert, Arbeiter und Arme an sich zu binden.