Ein NS-Vertriebener kehrt für eine Uraufführung heim

George Dreyfus musste vor den Nazis aus Wuppertal fliehen. Heute ist er einer der berühmtesten Komponisten Australiens.

Herr Dreyfus, Sie teilen nicht nur das Schicksal Else Lasker-Schülers, sondern gleichsam eine tiefe Verbundenheit mit Ihrer Geburtsstadt. Wie drückt sich diese aus?

George Dreyfus: Ich komme immer wieder ins Tal, habe viele Freunde hier — wenn auch nur noch eine Verwandte. Bereits in den 50er Jahren war ich das erste Mal wieder hier und dann immer wieder. Ich hoffe, diese Reise ist nicht meine letzte nach Wuppertal — auch wenn es meine letzte Uraufführung von Lyrikvertonungen Else Lasker-Schülers sein dürfte.

Gibt es eine Begebenheit während ihrer Aufenthalte, an die sie sich besonders erinnern?

Dreyfus: Es muss mehr als 20 Jahre her sein, da saß ich beim Essen mit der ehemaligen Oberbürgermeisterin Ursula Kraus. Ich trug einen Schlips der Stadt Wuppertal, den ich einmal geschenkt bekommen hatte. Frau Kraus sah die alte Krawatte und schickte sofort ihren Mitarbeiter los, um mir das neue Modell der Wuppertal-Krawatte zu besorgen. Die war damals modern, und auch heute kann man sie wieder tragen. Ich habe sie allerdings nicht auf diese Reise mitgenommen.

Welche Wuppertaler und Wuppertalerinnen sind Ihnen von Ihren Aufenthalten im Gedächtnis geblieben?

Dreyfus: Während eines Interviews für das WDR-Fernsehen „WupperTalk“ vor etwa 15 Jahren rief eine Frau Müller an. Sie wohnt in einem alten Arbeiterviertel auf der anderen Seite der Wupper (gemeint ist der Arrenberg, Anm. d. Redaktion), wo ich als Kind nie gewesen war. Diese Frau Müller hat damals im Hause meiner Eltern gearbeitet. Ihre Eltern waren Kommunisten und Frau Müller war sehr stolz darauf. Ich habe heute noch Kontakt mit ihr und besuche sie, wenn ich hier bin. Sie hat meiner Großmutter Essen gebracht. 1942 war das — und allein schon an der Tür meiner Großeltern zu klingeln, war gefährlich. Eine andere Dame hatte sich einmal auf einen Zeitungs-Aufruf hin gemeldet. Sie besaß ein Amulett meiner Großmutter. Heute trägt es meine Frau, Kaye.

Sie haben bereits mehrere Gedichte von Else Lasker-Schüler vertont. Wie kam es dazu?

Dreyfus: Hajo Jahn von der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft hat mich darum gebeten. Das habe ich gemacht. Das Gedicht „Gebet“ ist eines seiner Lieblingsgedichte. Eigentlich sollte ich es für einen Kinderchor vertonen. Aber es war zu kompliziert. Morgen spielen wir es mit einem Kammerorchester. Mein Sohn Jonathan wird ebenfalls zwei Stücke dirigieren.

Haben Sie weitere Stücke komponiert, in denen es um Wuppertal geht?

Dreyfus: 1984 habe ich ein Stück komponiert, das „German Teddy“ heißt. Dort geht es um Eduard Tonen. Er ist in der einzigen Schlacht, die es je auf australischem Boden gegeben hat, gefallen. 1853 war das. In der Symphonie heißt es ironisch: Er hätte in Elberfeld bleiben und dort eine Ehefrau finden können.

Nun sind Sie im Alter von 83 Jahren noch einmal nach Wuppertal gekommen, um vier weitere, „Vier letzte Else-Lieder“ zum ersten Mal aufzuführen. Warum ist es Ihnen so wichtig, sie selbst zu dirigieren?

Dreyfus: Es macht Spaß. Deswegen habe sie komponiert, damit ich sie dirigieren kann. Ich habe soeben zudem meine dritte Symphonie vervollständigt. Ich wollte sie fertig haben, damit ich sie mit nach Deutschland nehmen konnte — und das auch nur, damit ich dirigieren kann. Das ganze Stück geht auch nur in einem Tempo. Das kann ich noch. Man wird ruhiger im Alter.

Sie waren der erste europäisch-stämmige Komponist, der das Didgeridoo, das Instrument der australischen Ureinwohner, in eine klassische Komposition aufgenommen hat. Wie wichtig ist der transkulturelle Austausch für die Völkerverständigung?

Dreyfus: Dieses Stück heißt „Sextett für Didgeridoo und Bläserquintett“ und wird am 9. Dezember in Berlin in der Staatsoper aufgeführt. Es ist das erste Mal. Darauf bin ich sehr stolz. Immerhin ist es bereits 40 Jahre alt und wurde in Ost-Berlin vor der Wende einmal gespielt. Die Aborigines leben ja bekanntlich zehn bis 20 Jahre kürzer als die weißen Australier. Das weiß jeder. Die Realität ist grauenhaft. Was kann man da sagen, sie sind vertrieben worden, ihr Land wurde ihnen weggenommen. Durch mein Stück ist das nicht wieder gutzumachen. Doch es ist da, real und hat etwas für die Musikkultur gemacht. Aber die Verbindung der Kulturen durch Musik, das ist eine schwierige Sache. Für mich war es ein rein musikalischer Akt und steht für sich selbst.