Was glauben Sie denn? Ein Schaf muss tun, was ein Schaf tun muss

Wuppertal · Werner Kleine von der katholischen Citykirche über die Ferienzeit.

Dr. Werner Kleine - Freisteller

Foto: Christoph Schönbach

Die Sonne brennt, es ist heiß, es ist Ferienzeit. Vor allem Eltern schulpflichtiger Kinder sind froh, wenn sie ihre Nachkommenschaft auf Ferienfahrten oder Stadtranderholungen in guten Händen wissen. Das alles würde nicht ohne die Hilfe vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer gehen, die nicht nur ihre eigene Freizeit investieren, sondern auch ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen. Was glauben Sie denn?

Wer auch nur einmal für eine solche Freizeit verantwortlich war, weiß, dass es leichter ist, einen Sack Flöhe zu hüten, als eine zahlenmäßig überschaubare Gruppe lebensfroher Kinder, die zu allem fähig und doch für nichts verantwortlich sind. Das Zählen der lebhaften Meute wird zur allgegenwärtigen Gewohnheit. Wehe, ein Kind ginge verloren. Allein der Gedanke löst sicher auch bei Unbeteiligten wenigstens im Ansatz das Gefühl von Panik aus. Die Gruppe muss beisammen bleiben, während das verlorene gesucht werden muss. Wie groß wird die Freude sein, wenn Kevin oder Justus, Chantal oder Lisa wiedergefunden wird. Feststimmung!

Genau so verhält es sich mit dem berühmten Gleichnis, das allgemein als das Gleichnis vom verlorenen Schaf bekannt ist. Es ist ein Glanzstück der Verkündigung Jesu. Nicht nur, dass an ihm deutlich wird, dass man nie direkt von Gott reden kann; man kann sich Gott nur vorsichtig in Metaphern und Bildern näher – weshalb jedem grundsätzlich zu misstrauen ist, der zu wissen vorgibt, was Gott will, sagt und meint. Auch zeigt das Gleichnis, dass es nur wenige Sätze braucht, in denen alles gesagt werden kann: Ein Hirte hatte hundert Schafe. Als er merkt, dass eines fehlt, lässt er die 99 anderen alleine und sucht das verlorene. Als er es findet, herrscht große Freude unter den 99 anderen.

Während in der christlichen Verkündigung aller Konfessionen das verlorene Schaf zum Problemschaf erklärt wird, wirft das Gleichnis gerade für ferienfreizeiterprobte Leiterinnen und Leiter eine Reihe von Fragen auf: Wie kann es sein, dass überhaupt ein Schaf verloren geht? Hat es der Hirte an der nötigen Aufsicht mangeln lassen? Wieso merkt er den Verlust des Schafes erst so spät? Und wieso lässt er die 99 anderen ohne Aufsicht zurück? Nicht das verlorene Schaf hat etwas falsch gemacht; es hat halt getan, was Schafe so tun: fressen, weitergehen, weiden, Mä machen, weitergehen, grasen usw. Ein Schaf muss halt tun, was ein Schaf tun muss. Die Panik des Hirten verwundert daher nicht. Er hat den Fehler gemacht, nicht das Schaf. Wie soll er dem Besitzer den Verlust erklären? Er muss es finden – und lässt dafür die 99 anderen zurück. Die sind offenkundig einfach zu brav oder ängstlich, dass sie sich auch ohne Aufsicht nicht vom Fleck rühren. Normal ist das nicht für ein echtes Schaf … Und so kann man die Freudenschreie des Hirten, der seinen Fehler unter Einsatz eines hohen Risikos wettmachen konnte, geradezu hören.

Das Fazit: Die Schafe sind nie das Problem; es sind eher die Hirten. Das gilt für das Land und die Stadt ebenso wie die Kirche. Hier sprechen die Kirchenaustrittszahlen der letzten Monate für sich. Wo haben es die Hirten an Sorgfalt mangeln lassen? Gehen sie jetzt auf die Suche? Sind sie bereit eine Risiko einzugehen? Sind da noch echte Hirten, die bereit sind, ihre Fehler zu erkennen und wieder gutzumachen? Was werden sie dereinst zu ihrer Verteidigung zu sagen haben, wenn sie einfach so weitermachen und tun, als wenn nichts gewesen ist? Nein, im Moment sieht es nicht gut aus, in der kleiner werdenden Herde – gar nicht gut. Es bleibt nicht mehr viel Zeit – sonst werden sich auch die 99 Schafe noch zerstreuen. Noch besteht jedenfalls kein Anlass zur Freude …