„Einladung, die von Herzen kam“
Nachkommen von jüdischen Flüchtlingen aus Wuppertal sind zu Gast in der Stadt.
Lilly Cohen weiß, dass sie Glück gehabt hat. Viel Glück. „Gerettet hat mich damals das Schreien meiner kleinen Schwester“, erinnert sich die heute 88-Jährige. Weil die Schwester den Polizisten zu laut war, ließen sie die Mädchen und ihre Mutter aus dem Gefängnis, wo die polnischstämmigen Juden Elberfelds damals zusammengepfercht wurden. Ende 1938 war das, nach den Pogromen in Wuppertal und ganz Deutschland. Die Familie flüchtete anschließend über Kuba in die USA, wo Cohen heute noch lebt. In dieser Woche kehrte sie noch einmal zurück. Die Begegnungsstätte Alte Synagoge hatte die Nachfahren von aus Wuppertal emigrierten Juden eingeladen, am Mittwoch empfing Oberbürgermeister Andreas Mucke die Gruppe.
Lilly Cohen floh mit ihrer Familie 1938 aus Wuppertal
Es sei eine Einladung, „die von Herzen kam“, stellte der OB in seiner Begrüßungsrede fest. 24 Personen aus zehn Familien waren gekommen. USA, Argentinien oder Großbritannien — weit verstreut leben die die Nachfahren derjenigen, die das Nazi-Regime zur Flucht zwang.
Lilly Cohen war neben Wolfgang Kotek aus Rotterdam die einzige, die noch in Wuppertal geboren wurde. „In Elberfeld. Mein Vater Abraham Kotek hatte ein Geschäft für Männerkleidung.“ Kotek & Landau. Der Geschäftspartner floh später nach Australien, weiß sie.
Während Wolfgang Kotek als Zeitzeuge schon öfter in Wuppertal weilte, war es für Cohen der erste Besuch seit 80 Jahren. Schwergefallen sei es ihr nicht. Trotz der bedrückenden Erinnerungen. Ihre Familienmitglieder seien polnische Juden gewesen. Abraham Kotek kam in den 1920er Jahren ins Wuppertal, eröffnete dann sein Geschäft. Während sie Glück hatte, mussten viele andere sterben. Die Juden, mit denen sie im Gefängnis saß, „kamen alle nach Polen“, weiß Cohen. Dort starben die meisten in den Lagern. Auch viele ihrer Familienangehörigen überlebten den Krieg nicht.
Dass so etwa nie wieder passieren dürfe, dass man mit allen Mitteln wieder aufkommenden Rassismus und Antisemitismus Einhalt gebieten müsse, darauf wies Mucke in seiner Rede hin. Deshalb müsse man auch die Erinnerung wach halten. Vor allem, da viele Stimmen aus der Zeit, die berichten könnten, nach und nach verstummen. „Und wir können heute nur erahnen, was sie damals gefühlt haben müssen“, erinnerte der OB noch einmal an die Schreckensherrschaft der Nazis.
Insgesamt hatte die Begegnungsstätte Alte Synagoge mehr als 100 Einladungen an Nachfahren ehemaliger Wuppertaler Juden in aller Welt verschickt. Dass viele nicht kommen konnten, liege einfach daran, „dass sie mittlerweile leider zu alt sind“, erklärt Ulrike Schrader, Leiterin der Begegnungsstätte, die den Besuch gemeinsam mit Christine Hartung organisiert hatte.
Zum anderen sei es auch eine Geldfrage gewesen. Das Programm vor Ort in Wuppertal — unter anderem Besuche im Museum oder dem Skulpturenpark — habe man über Sponsoren ermöglicht. Die Reise selbst musste aber selbst gezahlt werden.
Am Donnerstagabend wird die Gruppe zu Gast in der Historischen Stadthalle sein. Die Begegnungsstätte stellt dann einen Sammelband vor mir Briefen von Wuppertaler Juden an Ulrich Föhse (die WZ berichtete). Der hatte in den 1980er Jahren angefangen, ehemalige Bewohner zu suchen. Rund 500 habe er damals angeschrieben, 100 hätten nicht geantwortet, zu sehr belasteten die Erinnerungen. „Das ist verständlich“, erklärte Schrader. Doch 400 hätten „Ja“, gesagt, den Kontakt gewünscht, aus dem sich die heutigen Beziehungen ergaben.
Für die Gäste im Rathaus formulierte Wolfgang Kotek eine spontane Dankesrede. Er selbst betonte im Gespräch mit der WZ: „Wir sehnen uns nach Freundschaft, Liebe, Wahrheit, Glaube, Hoffnung und Barmherzigkeit.“