Wuppertal Familie sollte ohne Baby ausreisen

Auf dem Bescheid der Behörde ist der fünf Monate alte Elias nicht vermerkt. Die Mosavis aus Afghanistan klagen und hoffen.

Foto: A. Fischer

Wuppertal. „Das war der schrecklichste Tag in meinem Leben“, sagt der achtjährige Yasin bei der Erinnerung an die Ankunft des Bescheids vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). „Als der gelbe Brief ankam, dachte ich, da steht, dass wir bleiben können.“ Aber er wurde bitter enttäuscht: Der Asylantrag der afghanischen Familie, die seit September 2015 in Wuppertal lebt, war abgelehnt worden. Innerhalb von 30 Tagen sollten sie Deutschland verlassen. Besonderer Schreck: Auf dem Bescheid war Elias, mit fünf Monaten der Jüngste der Familie, nicht erwähnt. Die Familie fürchtet, dass sie den Kleinen zurücklassen soll.

„Ich war geschockt“, erzählt die Mutter Masomeh Mosavi (31). „Ich habe sofort gesehen, dass Elias nicht dabei ist.“ Yasin habe geweint, sie und ihr Mann hätten nicht mehr schlafen können. „Wir dachten, wir müssen zurück ohne Elias.“

Wobei „zurück“ in ihrem Fall nicht stimmt, denn sie haben die letzten 30 Jahre im Iran verbracht. Ihre Eltern waren vor dem Krieg in Afghanistan geflohen. Als Flüchtling habe man es im Iran nicht leicht: „Es gibt immer Druck, immer Stress“, sagt Masomeh Mosavi. Sie hätten gern studiert, aber das sei ihnen nicht erlaubt worden. Seid Hosein Mosavi (34) arbeitete auf dem Bau.

In Afghanistan haben sie keine Verwandten mehr. „Dort ist Krieg“, betont Seid Hosein Mosavi. „Dort sind entweder Taliban oder der IS.“ Sie fürchten, verfolgt zu werden, weil sie als Schiiten zu einer religiösen Minderheit gehören: „Wir würden getötet“, ist Masomeh Mosavi überzeugt. „Es gibt keinen Platz für uns in Afghanistan, keinen im Iran, und jetzt keinen in Deutschland“, sagt sie unter Tränen.

Als der Bescheid ankam, haben sie deutsche Freunde benachrichtigt, die ihnen halfen, einen Anwalt zu finden. Jetzt klagen sie gegen den Bescheid, das hat aufschiebende Wirkung — die Ausreisefrist von 30 Tagen gilt damit nicht mehr. „Die Klage argumentiert, dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist“, erklärt Michael van Straelen, der mit seiner Freundin Sonja Grabowsky die Familie begleitet, seit sie im September 2015 in Wuppertal ankam.

Sie vermuten, dass Elias auf dem Bescheid fehlt, weil es keine Geburtsurkunde für ihn gibt. Die bekamen die Eltern nicht, weil sie selbst keine Geburtsurkunde haben. „Wir haben dem Bamf die Geburtsbescheinigung aus dem Krankenhaus geschickt“, berichtet Sonja Grabowsky. „Die wissen, dass es ihn gibt.“

Die Familie hat Fuß gefasst in Wuppertal: Yasin und seine Schwester Sarina (10) besuchen die Grundschule. Seid Hosein Mosavi bewirbt sich für Praktika. Masomeh Mosavi hat begonnen, am Bergischen Kolleg fürs Abitur zu lernen.

Dort sorgte die Nachricht von ihrer drohenden Abschiebung ebenfalls für Empörung. Ihre Mitstudierenden haben Unterschriften gesammelt: „Ich konnte es nicht fassen“, erzählt Schulsprecher Erkan Bicer. Masomeh Mosavi sei eine vorbildliche Studentin, sehr engagiert: „Man merkt, dass sie die Sprache lernen will. Sie ist ein Beispiel für andere.“ Das bestätigt auch Schulleiter Michael Wlochal.

Jürgen Lemmer, Leiter des städtischen Ressorts Zuwanderung und Integration, will sich zu dem konkreten Fall nicht äußern. Er betont aber, dass bei einem ersten Abschiebebescheid noch nichts entschieden sei: „Jeder kann klagen. 40 Prozent der Afghanen werden dann noch anerkannt.“ Und selbst bei einen endgültigen Abschiebebescheid prüfe das Ausländeramt, ob es Gründe für ein Abschiebehindernis gebe. Ob es möglich sei, Kinder einer Familie unterschiedlich zu behandeln? „Der besondere Schutz der Familie wird groß geschrieben. Wir behandeln Familien immer einheitlich.“