„Für Förderschüler ist eine enge Bindung das A und O“
Ulrike Tewes und Stephanie Sieker leiten beide eine Förderschule und berichten, warum diese erhaltenswert sind.
Die schwarz-gelbe Koalition will die bestehenden Förderschulen erhalten und den Eltern so eine durchgehende Wahlmöglichkeit zwischen Förderschule und inklusiver Regelschule ermöglichen. Was sagen Sie dazu?
Stephanie Sieker: Wir freuen uns natürlich darüber. Wir sind für die Inklusion, haben aber viele Kinder und Jugendliche hier, die in einem kleinen System besser aufgehoben sind. Wir haben viele Anfragen von Grundschulen, in denen Kinder mit der Inklusion nicht zurechtkommen.
Welche Kinder besuchen ihre Förderschulen?
Sieker: Die Kinder, die zu uns kommen, haben Probleme im Bereich Sprache sowie in der emotional-sozialen Entwicklung. Das heißt, sie haben große Schwierigkeiten sich an klare Strukturen zu halten.
Ulrike Tewes: Einige unserer Schüler haben auch Antriebsprobleme, um sich auf schulische Anforderungen einzustellen. Wir haben Kinder, die Konzentrationsprobleme oder Probleme bei der sozialen Kontaktaufnahme haben und zum Beispiel aggressiv werden.
Was ist das Ziel einer Förderschule?
Tewes: Die Schüler werden bei uns nach den allgemeinen Richtlinien der Grund- und Hauptschulen unterrichtet. Ziel ist es, die Schüler wieder auf eine Regelschule schicken zu können. Zuletzt habe ich von einer Mutter ein Foto bekommen, deren Sohn bis zur fünften Klasse bei uns war. Jetzt hat er seinen Realschulabschluss gemacht. Das macht uns natürlich auch stolz!
Förderschulen stehen also nicht im Widerspruch zur Inklusion?
Tewes: Kinder und Jugendliche können durch den Besuch der Förderschule am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. So wie Inklusion zur Zeit angedacht ist, ist das nicht für alle Kinder der richtige Weg. Es gibt Schüler mit besonderen Förderbedarfen, für die wir speziell ausgebildetes Personal haben. Schön, dass durch die Inklusion deutlich geworden ist, dass wir gute Arbeit leisten und die Eltern freiwillig zu uns kommen.
Warum funktioniert Inklusion in vielen Fällen nicht?
Sieker: In der Regelschule sind die Klassen teilweise sehr groß und werden von einer Lehrerin betreut. Der Sozialpädagoge kommt nur ein mal in der Woche dazu, so dass die Kinder auf sich alleine gestellt sind. Die offene Situation stellt die Schüler vor Probleme. Hier sind die Klassen kleiner und ein Lehrer ist den ganzen Tag über der Ansprechpartner, mit dem eine enge Bindung aufgebaut werden kann. Das ist das A und O für diese Kinder: Sicherheit und Beziehung.
Und wie sieht es erfahrungsgemäß mit Beziehungen an der Regelschule aus?
Tewes: Gerade in der Pubertät findet Cliquenbildung statt. Da gehören sie nicht dazu. Einige werden einsam und ziehen sich zurück, andere werden aggressiv. Wir haben Schüler, die zuvor in der Kinder- und Jugendpsychiatrie waren, durch eine Überforderungssituation in der Regelschule. Häufig gibt es dort keinen Kontakt auf Augenhöhe.
Sieker: Schüler wechseln aber auch zu uns, wenn es um das Thema Berufsvorbereitung geht. Was wir an Vorbereitung und Kooperationen haben, kann keine Regelschule leisten. Wir haben zum Beispiel die räumliche Ausstattung, um sie Schüler in Hauswirtschaft und Werken zu unterrichten.
Was leisten Förderschulen?
Tewes: Wir schauen: wie geht es dem Kind in der Situation? Das ist ein typischer Blick von Sonderpädagogen, dafür sind wir ausgebildet.
Siecker: Regelschulen haben die Schüler natürlich auch im Blick, aber auf einer anderen Ebene. Die Klassen sind größer, es wird auf einem höheren Niveau gefördert und die Eltern machen häufig mehr Druck.