Klavier Festivals Ruhr Für Pianist Stadtfeld steht Bach über allem

Im Rahmen des Klavier Festivals Ruhr gab Pianist Martin Stadtfeld ein Gastspiel im ausverkauften Skulpturenpark Waldfrieden.

Foto: Adrian Bedoy

Wuppertal. Martin Stadtfeld ist derzeit Deutschlands erfolgreichster Pianist auf dem Klassiksektor. Er gilt als einer der bedeutendsten Interpreten der Musik von Johann Sebastian Bach. Etwa wurde seine Einspielung der „Goldberg-Variationen“ mit dem Echo Klassik prämiert. Auf sehr vielen Programmen seiner Konzerte ist der barocke Meister vertreten. So war es auch bei seinem Gastspiel im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr im seit vielen Wochen ausverkauften Pavillon des Skulpturenparks Waldfrieden. Sämtliche vorgestellten Werke hatten Bach-Bezüge.

Von Dietrich Buxtehude lernte Bach viel. Als Beispiel für seine hohe Kompositionskunst war seine Passacaglia in d-Moll (BuxWV 161) vertreten. Stadtfeld erkennt in Frédéric Chopins Oeuvre Bezüge zu dem ehemaligen Thomaskantor. Also spielte er seine Berceuse (Wiegenlied) in Des-Dur (op. 57). Bach hält er übrigens auch für einen Romantiker. Und Stefan Heucke verwendete in seiner zweiten Klaviersonate nicht nur die Töne B-A-C-H, sondern auch seine Choralvertonung „Nun danket alle Gott“. Bach stand also über allem.

Doch damit nicht genug. Die Musikform der Variation war zweiter Oberbegriff. Eine Passacaglia ist nämlich nichts anderes als eine Folge von Variationen über eine vier- beziehungsweise achttaktige ostinate Basslinie. Bei Chopins Berceuse verhält es sich ähnlich. Über den stetig wiederkehrenden tiefen Ton Des (Orgelpunkt) und nur drei Harmonien (Des-Dur, As-Dur, Ges-Dur) im Bass entwickeln sich aus einem Thema Variationen. Und Heucke veränderte in seinem zur Uraufführung gekommenen Opus 79 Bachs Choralmelodie mit klassischen und modernen Mitteln, darunter Collagetechniken und akkordische Verarbeitungen.

Wie ein Stück spielte Stadtfeld diese Werke, indem er sie nahtlos aneinanderreihte. Das machte Sinn, da so ohne Zwischenapplaus die Entwicklung dieser Kompositionsart vom Barock bis zur Neuzeit bruchlos nachvollzogen werden konnte. Gerade bei Heuckes technisch anspruchsvoller Klaviersonate spielte er seine große pianistische Klasse aus und spannte tief ausgelotet über die vier Sätze einen großen musikalischen Spannungsbogen. Der anwesende Komponist hatte wohl großen Gefallen an Stadtfelds Umsetzung seiner Noten, bedankte er sich doch herzlich bei ihm.

Nach diesem Gang durch die Improvisationsgeschichte widmete sich Stadtfeld dem Höhepunkt barocker Variationskunst. Bachs „Goldberg-Variationen“ spielte er durch Hinzufügung eigener kanonischer Sätze unter Verwendung der ersten acht Noten Grundnoten. Sie gestaltete er mal schlicht, dann wiederum komplex oder episch breit. So geriet diese neue Zusammenstellung zu einem mehr als einstündigen Zyklus, bei dem er stark auf Kontrastbildung setzte.

Eine trockene, scharf konturierte, phasenweise harte Tongestaltung alternierte mit romantisch-verklärten, hochromantischen, samtweichen, ganz leisen musikalischen Melodieführungen. Bach-Puristen, die bei diesem Klavierwerk vor allem an Klänge eines Cembalos oder Hammerklaviers denken, hätten mit dieser Auffassung ein paar Probleme gehabt. Denn seine Ausdrucksweise hatte manchmal mit der Barockzeit nicht mehr viel zu tun. Dennoch waren seine individuellen Klangvariationen stringent. Die Toccata in d-Moll, op. 11 von Sergej Prokofjew ist wegen ihrer rasend schnellen Ton- und Akkordrepetitionen ein Bravourstück.

Mit dieser erstklassig gespielten Zugabe löste er noch einmal Beifallsstürme aus. Robert Schumann als zweite Zugabe hätte er sich hingegen sparen können. Denn das letzte Stück („Der Dichter spricht“) aus seinen Kinderszenen op. 15 kam gerade im Mittelteil zu manieristisch daher.