Für Reisende galt Wuppertal als Stadt der Brathähnchen

Eine Bahnreise war früher nicht der einzige Grund, um zum Wuppertaler Hauptbahnhof zu fahren — ein Abstecher in die Vergangenheit.

Foto: Uwe Schinkel

Wir drehen die Uhren um ein paar Jahre zurück. Es ist Sonntagmorgen, der Kühlschrank ist leer, aber der Appetit auf frische Brötchen mit Marmelade groß. Außerdem wäre es ganz schön, wenn man noch ein paar Stücke Kuchen für die Kaffeetafel am Nachmittag auftreiben könnte — und Shampoo und Zahnpasta gehen auch so langsam aus. Die Lösung all der logistischen Probleme heißt: „Ich fahre mal schnell zum Hauptbahnhof.“

Foto: Uwe Schinkel

Was vor dem Umbau die Notlösung vor allem außerhalb der üblichen Ladenöffnungszeiten war, könnte sich nach der Eröffnung der Einkaufspassage wieder so abspielen. Denn in der Mall soll es einmal alles käuflich zu erwerben geben, was der Mensch zum Überleben an Feiertagen oder an kurzen und langen Wochenenden braucht.

Früher war alles besser! Dieser Spruch trifft ja selten zu, selten aber war er so falsch wie beim Thema Döppersberg. Mit der schnellen Fahrt zum Hauptbahnhof war es ja leider nicht getan, wie viele Wuppertaler sich erinnern dürften. Der Bahnhof und sein Umfeld waren schlichtweg eine Katastrophe, woran wenige Tage vor der Eröffnung der neuen Mall und des Parkdecks noch einmal erinnert werden soll.

Rund 200 Parkplätze gibt es ab Montag um 10 Uhr im Parkdeck unter dem Busbahnhof. Vor dem Umbau des Döppersberg hatten die Autofahrer die Wahl zwischen einem Schotterplatz mit knietiefen Schlaglöchern am Wuppertal Institut und einigen Parkplätzen für Kurzparker direkt vor dem Eingang zur Bahnhofshalle. Glücklich durfte sich schätzen, wer dort ein freies Plätzchen fand, denn viele Alternativen gab es nicht. Um diese Parkplätze balgten sich die Gruppe der Einkäufer und die Menschen, die jemanden zum Zug brachten oder vom Bahnhof abholten. Statt ein Parkticket zu lösen, drehten viele dieser Abholer freiwillig auf dem kleinen Vorplatz ihre Runden oder parkten in zweiter Reihe, was nicht selten heftige Hupkonzerte auslöste.

Im Drogeriemarkt sahen sich dann alle wieder, die zuvor mit harten Bandagen um die wenigen Parkplätze gerungen hatten. Beliebt war auch der Besuch der Bahnhofsbuchhandlung, die neben Tageszeitungen wie der WZ und internationaler Literatur auch diverse Spezialmagazine in den Regalen stehen hatte. So viel große Welt musste sein.

Allerdings sahen weder der Bahnhofsvorplatz noch die Bahnhofshalle und am wenigsten der Fußgängertunnel zur Innenstadt nach großer Welt aus. Fremde erlebten einen regelrechten Schock, wenn sie auf den Bahnhofsplatz traten. Dort stellten sie mit Verwunderung fest, dass der Wuppertaler zwar knusprige Brathähnchen vom mobilen Anbieter zu schätzen wusste, aber offenbar weder in der Lage war, den Fußweg zur City auszuschildern noch ihn zu bauen. Die Straße Döppersberg wirkte auf ortsunkundige Gäste wie das Ende der Welt.

Die wahre Zierde des Bahnhofsvorplatzes war aber der Flachbau, der regelrecht an das historische Empfangsgebäude angepappt wurde. Hier bot ein Drogeriemarkt die gesamte Palette der Körperpflegeartikel an, aber auch diverse Lebensmittel und Getränke, die dazu dienen konnten, das Wochenende ohne knurrenden Magen zu überstehen. Großeinkäufe lohnten sich nicht, denn bei Lebensmitteln zahlte man einen Bahnhofs- und Feiertagszuschlag. Wer sich den gesamten Charme des Wuppertaler Hauptbahnhofs noch einmal in Erinnerung rufen will, der sollte sich kurz die kaputten Rolltreppen und die ständig defekten Gepäckbänder in Erinnerung rufen, die aus dem unteren Bereich wie falsche Versprechen in die wenig einladende Eingangshalle führten. Doch was heißt schon Erinnerung. Viele der Serviceprobleme der Bahn im Hauptbahnhof sind bis heute nicht gelöst, sie sind nur etwas in die Jahre gekommen. Das Reisezentrum befindet sich immer noch in einem Container auf Gleis 1 - und so mancher Besucher fühlt sich an den Bahnsteigen noch immer am Ende der Welt.