Konzert Gefühlswelten einer Großstadt
Genreübergreifender Abend mit Olaf Reitz, Caroline Keufen amici del canto und Partita Radicale.
„Die Sinfonie der Großstadt wird jetzt beginnen“. Mit diesem Satz eröffnete Schauspieler Olaf Reitz nach einer knappen Improvisationsnummer von Karola Pasquay (Flöte) und Ute Völker (Akkordeon) den genreübergreifenden Abend „Zur Nacht“ im voll besetzten Pavillon des Skulpturenparks Waldfrieden, der begeistert aufgenommen wurde.
Die Eingangsworte führten zunächst in die Irre. Denn „Die Sinfonie der Großstadt“ ist eigentlich ein legendärer Stummfilm von Walther Ruttmann aus dem Jahr 1927 mit Musikuntermalung. Er zeichnet einen Tag Berlins zur Zeit der 1920er Jahre nach, gibt einen Einblick in die damaligen Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Doch damit hatte die Veranstaltung nichts zu tun, wie sich bald herausstellte. Es ging zwar um eine Großstadt, allerdings vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang, aber mehr um Emotionen und Geräusche, die Reitz und Caroline Keufen mit klarer Diktion vortrugen.
Siegfried Kracauer (1889-1966), einflussreicher Mitbegründer der Filmsoziologie, warf dem Schwarz-Weiß-Streifen in der Frankfurter Zeitung (Ausgabe 17. November 1927) vor: „Während etwa in den großen russischen Filmen Säulen, Häuser, Plätze in ihrer menschlichen Bedeutung unerhört scharf klargestellt werden, reihen sich hier Fetzen aneinander, von denen keiner errät, warum sie eigentlich vorhanden sind. Ist das Berlin? Nein, …“.
Empfindungen, wenn der Regen gegen die Scheiben prasselt
Auch der von den beiden Sprechern vorgestellte Text mit seinem komplex-intellektuellen Satzbau, dessen Inhalt sich deswegen nur durch sehr konzentriertes Zuhören erschloss (Vorlesungen an Hochschulen sind mitunter eingängiger), ist eine Aneinanderreihung von Fetzen. Geschildert werden Empfindungen, etwa wenn der Regen gegen die Scheiben prasselt, ein Wagen auf der Straße knattert, Geräusche im Haus nerven. Oder: Nimmt man Träume mit in den Alltag oder umgekehrt? Sie stellen aber bestimmt nicht sämtliche Gefühlswelten einer Großstadt dar, sondern geben nur eine kleine Auswahl an Eindrücken wider.
Die einzelnen Textabschnitte wurden von vielfältiger Musik unterbrochen. Zum einen war es der Kammerchor amici del canto, der sich auf eine Zeitreise durch die Musikgeschichte begab: von in Dur und Moll gehaltenen Weisen a cappella bis hin zu freitonalen Nummern alleine, mit Flötenbegleitung und zu elektronischen Klängen sowie Improvisationen.
Standen diese brillant-ergreifend vorgetragenen Beiträge mit den gesprochenen Worten im Zusammenhang? Mangels Fremdsprachenkenntnissen und Hinweisen auf die Werke bleibt die Frage offen. Zumindest vom Chor gesprochene Äußerungen (darunter „ich bin, ich lebe“) und schrill vorgetragene Vokalisen konnte man in einen Kontext setzen mit der „Großstadtsinfonie“.
Zum anderen waren es Karola Pasaquay und Ute Völker, die kreativ mit Melodie- und Tonfragmenten sowie Klangteppichen umgingen, die teilweise latent an die Chorstücke gemahnten.