Gesundheit Gesunde Darmbakterien erhöhen die Überlebenschancen bei Krebs

Bei einer Fachtagung im Krankenhaus St. Petrus ging es im aktuelle Erkenntnisse zur Darmflora.

Prof. Dr. Andreas Erhardt ist Chefarzt der Gastroenterologie im Petrus-Krankenhaus.

Foto: Petrus Krankenhaus

Prof. Dr. Andreas Erhardt, Chefarzt der Gastroenterologie im Petrus-Krankenhaus, hat in Wuppertal ein Mikrobiota-Meeting veranstaltet. Neun Wissenschaftler und Ärzte aus ganz Deutschland referierten dort über aktuelle Erkenntnisse zur Darmflora.

Was ist das Mikrobiom genau?

Prof. Dr. Andreas Erhardt: Als Mikrobiom versteht man die Gesamtheit aller Bakterien, Phagen (Viren) und Pilze, die wir im Darm tragen. Wir begreifen zunehmend das Mikrobiom als eigenständigen „Organismus“.

Und dieser hat eine größere Bedeutung für die Gesundheit als bisher angenommen?

Erhardt: In der Summe haben wir 100 Billionen Bakterien bei uns im Darm. Diese 10 000 Arten von Bakterien produzieren 100 Mal mehr Stoffe als unser Körper, und die können in unseren Kreislauf übergehen. Das spielt natürlich eine Rolle. Und diese Bakterien haben 300 Mal mehr Gene als der Mensch. Wir vererben also nicht nur unsere Gene an unsere Kinder, sondern auch die Gene unserer Darmflora, unser Mikrobiom.

Was gab es für neue Erkenntnisse bei der Tagung?

Erhardt: Thrombose und thrombo-embolische Komplikationen hängen ganz wesentlich von der Zusammensetzung unseres Mikrobioms ab. Die Mikrobiom-Zusammensetzung hat einen großen Einfluss auf den Faktor VIII, der die Blutgerinnung steuert. Das spielt auch eine Rolle bei koronaren Herzerkrankungen und Arteriosklerose.

Heißt das, dass man durch die Zuführung bestimmter Darmbakterien solche Krankheiten verhindern kann?

Erhardt: So kann man das noch nicht sagen. Im Augenblick wissen wir nur, dass das Mikrobiom das beeinflusst. Inwiefern wir eingreifen können, ist eine andere Frage. Das Mikrobiom als komplexes Ökosystem versucht ja erst einmal, so zu bleiben, wie es ist. Es ist sehr schwierig, das zu verändern. Das Mikrobiom ist ein Super-Organismus, der extrem dicht mit unserem Organismus vernetzt ist. Um die Komplexität dieser Veränderungen begreifen zu können, brauchen wir Bio-Informatiker. Das funktioniert nicht mehr alleine mit Versuch und Beobachtung.

Also ist das ein sehr komplexes Forschungsfeld?

Erhardt: Ja, aber ein aufstrebendes. Die wissenschaftliche Forschung dazu explodiert geradezu. Wir haben etwa wunderbare Daten dazu, welche Rolle Ernährung dabei spielt. Es gibt Untersuchungen, dass man durch den Transfer von Mikrobiom eines übergewichtigen Menschen auf eine dünne Person diese auch übergewichtig machen kann. Andersherum funktioniert das leider nicht so gut.

Gibt es schon Anwendungen aus diesen Erkenntnissen?

Erhardt: Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen können Stuhltransplantationen die Krankheit heilen. Dazu gibt es randomisierte Studien, die das klar beweisen. Das Mikrobiom beeinflusst auch die Wirksamkeit unserer neuen Chemotherapien. Es gab ja 2018 den Nobelpreis für die so genannten Checkpoint-Inhibitoren. Diese Substanzen aktivieren unsere Immunzellen, die von den Tumorzellen herunterreguliert werden. Es gibt Daten, dass das Mikrobiom diese Immun-Antwort wieder herstellen kann. Das heißt, mit einem „gesunden“ Mikrobiom überleben Sie länger mit Krebs. Das könnte eine Revolution geben für die Onkologie. Aber die Entwicklung solcher biologischer Arzneimittel ist extrem schwierig.

Hat das Mikrobiom auch Einfluss auf unsere Psyche?

Erhardt: Beim Menschen ist das nicht so einfach festzustellen. Bei Mäusen gibt es viel mehr Daten. Es gibt auf jeden Fall Zusammenhänge – aber bisher keine kausalen Verbindungen. Und die Verbindung funktioniert in beide Richtungen. Unsere Stimmung verändert auch unsere Darmflora.

Woran forschen Sie persönlich?

Erhardt: Wir kommen von der klinisch-praktischen Seite und haben Mikrobiom transferiert. Dadurch konnten wir zeigen, dass der Mikrobiomtransfer bei Antibiotika-assoziierten Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile wirksam ist. Wir forschen auch an der Methodik – an der Sicherheit, an der Art, wie man den Mikrobiom-Tranfer gestaltet, ob über eine Kapsel oder als Transplantation.