Heimkehr im Sarg – nach 66 Jahren

Inge Kuhlmann hat durch Zufall die Lage des Grabes ihres im Weltkrieg gefallenen Vaters erfahren. Jetzt holt sie ihn nach Hause.

Wuppertal. "Heute schicke ich Ihnen die schmerzliche Nachricht, dass Ihr Gatte, der Oberfeldwebel und Zugführer Walter Kuhlmann, am 19. 5.1943 auf dem Hauptverbandplatz an den Folgen der erlittenen Verwundung gestorben ist. Ihr ergebener Hans Renwig, Oblt." Zeilen wie diese erhielten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Frauen - auch die Mutter von Inge Kuhlmann. Ihren gefallenen Mann hat sie danach so gut wie nie wieder erwähnt. Auch nicht gegenüber ihrer Tochter.

Den Brief des Oberleutnants Renwig hat Inge Kuhlmann jedoch heute noch. Ebenso wie den Wehrpass ihres Vaters, seinen Ehering und eine alte Uniformjacke. Erinnerungen an einen Menschen, den sie nie kennengelernt hat. Denn Walter Kuhlmann fiel fünf Monate vor der Geburt seiner Tochter. Jahrelang hat sie sich keine Gedanken darüber gemacht. Aufgewachsen ist sie bei ihrer Mutter und den Großeltern in Nächstebreck. Der "Heldentod" ihres Vaters - so nannte man das damals - gehörte nicht in ihre Welt. Bis sie im Jahr 2006 durch Zufall Matthias Krebbers aus Dortmund kennenlernte. Krebbers arbeitet ehrenamtlich beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK).

"Das Gespräch kam irgendwie auf das Thema und als ich erzählte, dass ich noch den Wehrpass meines Vaters habe, wollte Krebbers nachforschen", erzählt Inge Kuhlmann. Zum ersten Mal beginnt sie, sich für die Geschichte ihres Vaters zu interessieren. Am 15. Januar 2007 bekam sie Post von der Deutschen Dienststelle in Berlin - zwei Monate nach der Suchanfrage. Ihr Vater lag auf dem Soldatenfriedhof in Antropschino, 25 Kilometer südlich von St. Petersburg. 16. Reihe von vorn, Einzelgrab Elf von links.

Inge Kuhlmann buchte für Juli 2008 eine Reise nach Sankt Petersburg. "Vom Reisebüro erhielt ich eine Kontaktadresse von einem Ehepaar Lemke in Sankt Petersburg. Die beiden sind für den Umbettungsdienst in Nordwestrussland zuständig." Ihr russischer Kontakt informierte sie schon vorab über den "Soldatenfriedhof". "Sonst hätte ich sicher einen Schock bekommen", sagt die 66-Jährige. Beim damaligen Rückzug hatten die Deutschen selbst den Friedhof dem Erdbogen gleichgemacht. Heute befinden sich auf dem ehemaligen Friedhof Häuser und Gärten. Als Inge Kuhlmann vor den Gräbern steht, wird sie gefragt, ob sie Blumen niederlegen möchte. "Aber wohin?", fragt sie. "Dort gab es nichts, was wie ein Grab aussah."

Ihr Glück, dass ohnehin eine Exhumierung der Toten geplant war. Sie sollten auf die Kriegsgräberstätte in Sologubowka, einer der größten Kriegsgräberstätten Europas für 100.000 Gefallene. "Das wollte ich nicht. Da hätte ich ja nie wieder hin gekonnt."

Sie beschließt, den Vater nach nach Hause zu holen. Das Problem: Der Grundstücksbesitzer weigerte sich, den Grabungen zuzustimmen. Für Inge Kuhlmann begann eine Odyssee. "Immer wieder hieß es, dass es dieses Mal klappt." Am 24. Oktober 2008 die erlösende Nachricht: Ihr Vater war gefunden. Später erhielt sie per Post seine Erkennungsmarke. Sie stellte einen Antrag auf Heimatüberführung. "Das gilt amtlich als Familienzusammenführung." Vier Wochen Bürokratie - "das war erstaunlich wenig." Seitdem wartet sie und es fällt ihr mit jedem Tag schwerer. Am 26. Oktober die letzte Mail aus St. Petersburg: Alle Papiere sind beisammen. "Ich hoffe so sehr, dass es klappt." Dann nimmt sie Anfang Dezember den 50 x 80 cm großen Gebeinesarg in Empfang. Und kann ihren Vater auf dem Friedhof Bracken zur letzten Ruhe betten. In ihrer Nähe und direkt neben ihrer Mutter.