Heinz Grimm ist der gute Geist der Varresbeck

Der 86-Jährige kümmert sich seit vielen Jahren um die Verschönerung im Stadtteil und gärtnert — unter der Autobahnbrücke an der Varresbecker Straße.

Foto: Andreas Fischer

Varresbeck. „Ich bin im Garten“, steht auf dem Schild an der Tür zum verschlossenen Friseurgeschäft an der Varresbecker Straße 63. Und so ist es auch. Gleich ums Eck bugsiert Heinz Grimm eine Schubkarre Astwerk durch die Grünanlage mit ihren blühenden Sträuchern, Blümchen, Bäumen. Aus der einst vermüllten Fläche unter der Autobahnbrücke hat der fast 86 Jahre alte Friseurmeister im Laufe der Zeit einen richtigen Garten gemacht, wie er stolz erzählt. Und auch um die Randbepflanzung der Varresbecker Straße kümmert er sich.

Jeden Morgen kommt er ganz früh mit der Schwebebahn aus Richtung Barmen, sagt Heinz Grimm, „nach Möglichkeit um 5.29 Uhr“. Bis abends um sechs sei er im Viertel anzutreffen — jeden Tag. Er kümmert sich um Beete, sät und jätet, pflanzt Neues. „In der Varresbeck bin ich seit 1962.“

Und aus dieser Zeit stammt auch die heutzutage museal anmutende Einrichtung seines Friseursalons mit den breiten, gepolsterten Sesseln. Ihm liebgewordene Kleinigkeiten und Erinnerungen sind dort ebenfalls aufbewahrt. Das große gerahmte Plakat an der Wand zeigt das New Yorker Empire State Building. Geboren ist Heinz Grimm nämlich fast zeitgleich mit der Einweihung des Wolkenkratzers: im Mai 1931.

Der Friseurmeister holt einen Ordner mit Fotos, Urkunden, Zeugnissen und Zeitungsausschnitten hervor: „Da ist mein ganzes Leben drin.“ Gebürtiger Westpreuße ist er, geboren und aufgewachsen im damaligen Preußisch Friedland, heute Debrzno.

Ab 1953 kam er über Bitterfeld eher zufällig durch Bekannte in den Wuppertaler Westen, erzählt er, seine damalige Verlobte und spätere Frau folgte aus Berlin. Der Ordner enthält alte Fotografien des Heimatortes, unter anderem ein Abschlusszeugnis der Kreisberufsschule Bitterfeld, „und all’ meine Versicherungsunterlagen, vom ersten Tag des Einzahlens bis heute“. Er hatte sich damals vorgenommen, fürs Alter vorzusorgen „und ich hab’ wie ein Doller gearbeitet“. Ein Vermögen sei daraus nicht geworden. „Auch, weil ich immer brav Steuern gezahlt habe“, sagt er und lacht.

Im Tal fand der junge Mann damals schnell eine Beschäftigung. Erst als Gehilfe, dann hatte er seinen eigenen Laden. „Bei uns in der Familie sind alle entweder Friseure oder Lehrer“, sagt er schmunzelnd. Das sei vor ihm schon so gewesen — und es setzt sich offenbar fort: „Mein Enkel ist auch Lehrer.“

Die Varresbeck kennt Grimm wie seine Westentasche: „Ich habe jeden Tag von früh um sechs bis abends um sieben Haare geschnitten.“ Die ungewöhnlichen Öffnungszeiten seien der Nachfrage geschuldet gewesen: „Oft standen die Leute schon um kurz vor sechs vor der Tür — das waren Bayer-Arbeiter, die von der Nachtschicht direkt zu mir kamen.“ Etliche Männer der ehemaligen Stammkundschaft schauten immer noch regelmäßig auf ein Pläuschchen vorbei — an die 50 ältere Herrschaften, so schätzt Heinz Grimm, „alle im Alter zwischen 80 und 90 — mein Jahrgang.“

Es ist der Jahrgang junger Leute, die Kriegserfahrungen machen mussten. „Mein Leben würde schon ein Buch füllen“, sagt Grimm. „Ich bin dem Tod bestimmt zehn, 15 Mal von der Schippe gesprungen.“ In Kellern brennender Häuser habe er sich vor den Russen versteckt, Gewalt und Tod mitansehen müssen. Für nachfolgende Generationen sei es schwierig, solche Berichte nachzuvollziehen. „Mit Menschen unter 70 komme ich da kaum überein“, sagt Heinz Grimm. „Man kann sich nicht hineinversetzen.“

Lebensgefährlich sei noch vor Jahren auch der Autoverkehr auf der Varresbecker Straße gewesen: „Es gab viele Unfälle, auch tödliche.“ Er selbst sei im vergangenen Jahr bei einem Autounfall angefahren und verletzt worden, berichtet Grimm, „das Handgelenk war gebrochen, ein Bein kaputt und noch einige andere Schrammen“. Den empfohlenen längeren Krankenhausaufenthalt habe er aber abgelehnt und schon kurze Zeit nach dem Unfall wieder in der Varresbeck gewerkelt.

In seiner alten Heimat ist er nur per Internet gewesen. Aber der ältere Bruder informiere ihn immer. „Der wird nächstes Jahr 90.“ Zwei der drei Schwestern lebten ebenfalls noch. Seine verstorbene Frau hat Heinz Grimm gepflegt, wie er berichtet. „Das ist die Zeit, in der ich nur halbtags gearbeitet habe.“

Das Geheimnis seines langen Lebens? Ein bisschen Glück gehöre dazu, meint der rüstige Senior. Und wohl auch Veranlagung — denn alt seien in der Familie alle geworden: „Der jüngste Verstorbene war mein Vater mit 88.“

Von daher hat Heinz Grimm vor, noch ein Weilchen in der Varresbeck aktiv zu sein. Wie lange er noch weiter machen will? Der Friseurmeister winkt ab und scherzt: „Unendlich.“