Ilka Federschmidt: „Keine Kirche ist für die Ewigkeit“
Wuppertals Superintendentin spricht über den Konsolidierungskurs im evangelischen Kirchenkreis und Perspektiven für die Protestanten im Tal.
Frau Federschmidt, in den vergangenen Wochen gab es jede Menge schlechter Nachrichten aus der Evangelischen Kirche — vor allem, dass die Markuskirche in Sonnborn sowie die Alte Kirche Wupperfeld, die Hatzfelder Kirche und die Lutherkirche auf dem Heidt vor dem Aus stehen. Zieht sich die Evangelische Kirche in Wuppertal aus der Fläche zurück?
Federschmidt: Dass Gemeinden Kirchgebäude schließen, bedeutet nicht, dass wir uns aus der Stadt oder von den Menschen zurückziehen. Das wäre eine falsche Schlussfolgerung. Ich würde umgekehrt sagen, wir sind auf einem Lernweg — daran zu arbeiten, wie wir in der Fläche und bei den Menschen als Gemeinden präsent sein können, auch ohne so viele Kirchgebäude wie bisher.
Wie kann das klappen?
Federschmidt: Ein Beispiel aus meiner eigenen Gemeinde: Wir haben in Uellendahl zwei Kirchgebäude aufgeben müssen, und es hat sich ein Kreis ehrenamtlicher Menschen gefunden, die in der Woche und an jedem Sonntag mit einem Bully gerade Senioren, die sich den Weg nicht mehr zutrauen, zum Gottesdienst oder zu Gemeindeveranstaltungen mitnehmen. Gemeindeleben hängt nicht an einem Bauwerk allein. Keine Kirche ist für die Ewigkeit — so schmerzhaft das ist und so groß die Emotionen sind, die uns mit unseren Kirchen verbinden.
Aber für die betroffenen Gemeinden sind die Kirchen ihr Mittelpunkt, an dem nicht nur Gottesdienste stattfinden, sondern auch allerhand soziale Aktivitäten.
Federschmidt: Ich verstehe die Trauer, die damit verbunden ist. Aber wir müssen uns einfach den Realitäten stellen — dass wir uns das, was wir in guten Jahren liebgewonnen haben, nicht mehr leisten können. Bei aller Diskussion um Gebäude: Am Anfang war nicht die gut aufgestellte Institution Kirche, am Anfang war Christus — das hat Manfred Rekowski eindrücklich in seiner Einführungspredigt als rheinischer Präses betont.
Also sind wir sozusagen zu verwöhnt — was den Status quo der kirchlichen Infrastruktur angeht?
Federschmidt: Ich will es mal so sagen: Selbst wenn wir noch weitere Gebäude aufgeben, sind wir immer noch besser aufgestellt im Vergleich zu dem, was frühere Generationen zur Verfügung hatten oder unsere Partnerkirchen in Übersee zur Verfügung haben. Wir haben dann immer noch in den verbleibenden Kirchen und Gemeindehäusern Leuchtpunkte, die die Menschen anziehen, in denen lebendige Verkündigung, lebendige Gemeindearbeit stattfindet — und die nach wie vor für die Menschen erreichbar sind.
Als wir unser WZ-Mobil in Gemarke-Wupperfeld vor der Alten Kirche abgehalten haben, sind junge Christen aus Hatzfeld zu uns gekommen und haben die Sorge geäußert, dass ihre sehr aktive Jugendarbeit demnächst heimatlos wird. Vor dem Hintergrund einer aktuellen Statistik, die belegt, dass es in Wuppertal inzwischen in den Grundschulen fast ebenso viele Muslime wie protestantische Schüler gibt: Muss die Kirche es sich nicht zweimal überlegen, ehe sie ihren Nachwuchs so verprellt?
Federschmidt: Das Beste, was man dazu sagen kann, kam von einer engagierten jungen Mitarbeiterin aus Hatzfeld bei der Gemeindeversammlung: Es ist eine „beschissene“ Situation, aber wir wollen weitermachen, auch wenn wir an einen anderen Ort gehen müssen. Das habe ich auch in der eigenen Gemeinde erlebt: Wenn sich motivierte Leute hinstellen und sagen: „Wir geben nicht auf“, kann das Gemeindeleben auch an einem neuen Ort weiter blühen.
Kann ehrenamtliche Arbeit all diese Einschnitte auffangen — etwa in Sonnborn, wo es demnächst nur noch eine Pfarrstelle gibt, wo früher mal drei Pfarrer für 7000 Gemeindeglieder da waren. Wird das Ehrenamt da nicht überfordert?
Federschmidt: Gerade in Sonnborn ist das eine herbe Herausforderung, ganz sicher. Umso höher ist wertzuschätzen, was die Ehrenamtlichen, was das Presbyterium dort jetzt schon leisten. Wichtig ist in so einer Situation der Blick über den Tellerrand, zur Nachbargemeinde, um zu schauen: Was können wir vielleicht in Zukunft gemeinsam machen? So bitter das ist, wenn man Dinge aufgeben muss: Wir dürfen uns von der Trauer über das, was wir mal hatten, nicht den Blick in die Zukunft verbauen. Und der ist für mich immer noch hoffnungsvoll.
Werfen wir doch mal diesen Blick in die Zukunft: Wie sieht die Kirche in zehn Jahren aus: noch größere Einheiten, weniger Kirchen, aber überall Ehrenamtliche, die Alte zum Bibelkreis und Kinder zum Kindergottesdienst bringen?
Federschmidt: Ich glaube, dass wir fantasiereicher werden können bei der Frage, wo kirchliche Orte überall sein können — ob das kirchliche Altenheim sind oder ein Jugendzentrum wie die Hügelstraße. Oder vielleicht die Tradition der Hauskreise, wie es sie etwa in Ronsdorf gibt: Man kann ja nicht nur öffentliche, sondern auch private Räume für kirchliche Präsenz in der Stadt in Dienst nehmen. Unser Potenzial sind nicht unsere Gebäude — unser Potenzial ist das Vertrauen auf Gott. Und das sind wir selbst, um uns gegenseitig mit auf den Weg in die Zukunft zu nehmen.
Eine weitere Baustelle ist die Kinderbetreuung: Der Evangelische Kindertagesstättenverein will Einrichtungen schließen oder etwa der Stadt übergeben. Zieht sich die Evangelische Kirche dauerhaft aus dieser Aufgabe zurück?
Federschmidt: Das ist mir im Moment überhaupt nicht vorstellbar. Schon die jetzigen Einschnitte gehören zu den schmerzhaftesten überhaupt in unserem Konsolidierungsprozess. Wir wollen dafür sorgen, dass wir mit dem Anteil, den wir leisten können, gute evangelische Kindergartenarbeit machen, für die wir in dieser Stadt auch eintreten werden. Ein Rückzug ist kein Thema.
Angesichts ihrer sinkenden Gemeindegliederschar: Müsste die Kirche nicht mehr für sich werben, zu den Menschen gehen? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Bei mir stehen einmal im Monat diverse Freikirchler vor der Tür und wollen mich zur Mitarbeit bewegen. Vonseiten der evangelischen Kirche geschieht da kaum etwas. . .
Federschmidt: Da geschieht sehr wohl eine Menge, aber wir alle sind gefordert, für die christliche Botschaft zu werben — nicht nur die Pfarrerinnen und Pfarrer, alle Gemeindeglieder. Im im Alltag mehr von unserem Glauben zu sprechen, ihn vorzuleben und zu ihm einzuladen. Denn das ist es ja, was Ausstrahlung hat: unsere Gottesdienste — immer noch 50 jede Woche —, das Gebet für diese Stadt, der Einsatz für die Menschen. Dafür müssen wir wieder frei werden, trotz aller schmerzhaften Veränderungsprozesse.