Was ist Heimat in NRW für Sie?
Ina Scharrenbach im Gespräch „Städte müssen Prioritäten setzen“
Interview Die NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales und Bauen, Ina Scharrenbach (43, CDU), spricht sich für das Bausch-Zentrum und die Bundesgartenschau in Wuppertal aus und fordert eine gemeinsame Perspektive für das Bergische.
Ina Scharrenbach: Heimat ist für mich meine Stadt, Kamen, wo ich herkomme. Meine Familie, Freunde. Die Menschen dort, das ist meine Heimat.
Heimat stellt sich in NRW aber doch grundverschieden dar. NRW ist sehr heterogen. Was haben Sie sich als Heimatministerin für NRW denn vorgenommen bis 2022?
Scharrenbach: Wir haben uns vorgenommen, die zu unterstützen, die sich vor Ort für ihre Heimat einsetzen und gestalten. Das ist ein unmittelbarer Ansatz. Wir sagen, ihr sagt uns, was eure Heimat ist und wie ihr sie gestalten wollt, und wir schauen, wie wir das unterstützen können. Dazu haben wir ein eigenes Förderprogramm mit rund 150 Millionen Euro bis 2022 aufgelegt.
Jetzt beinhaltet Ihr Ministerium auch Kommunales, und wir stellen jeden Tag fest, dass die Verhältnisse in den Städten sehr unterschiedlich sind, wenn wir beispielsweise Düsseldorf mit Remscheid vergleichen. Oder Monheim, das im Moment anscheinend nicht weiß, wohin mit seinem Geld. Wie wollen Sie halbwegs Vergleichbarkeit, zumindest ähnliche Lebensverhältnisse erreichen?
Scharrenbach: Jede Stadt, jede Region hat andere Startvoraussetzungen. Es ist Aufgabe vor Ort, Perspektiven zu überlegen und Stärken zu stärken. Dann haben sie Situationen wie in Hagen oder auch in Remscheid, die mit wirtschaftlichen Veränderungen einhergehen. Weniger Unternehmen, weniger Steuereinnahmen, aber die Aufgaben bleiben gleich. Deshalb ist die große Herausforderung für alle Städte, zu entscheiden, wohin sie sich entwickeln wollen. Alles auf einmal ist schwierig. Deshalb ist es für die Kommunen notwendig, zu priorisieren und Perspektiven zu öffnen. Dabei unterstützen wir als Landesregierung. Im Bergischen Land haben sie beispielsweise die Herausforderung der Mobilität. Das alleine ist bereits topographisch eine langfristige Aufgabenstellung.
Nun haben die Städte aber kaum Gestaltungsmöglichkeiten, weil sie zu wenig Geld haben. Da ist es schwierig, ein lebenswertes Umfeld zu schaffen. Muss das Land da nicht stärker helfen?
Scharrenbach: Für das Jahr 2020 erhalten die Städte und Gemeinden aus der Gemeindefinanzierung des Landes rund 12,7 Milliarden Euro. Hinzu kommen zahlreiche Unterstützungsprogramme der Europäischen Union, des Bundes und des Landes.. Dabei ist das Verteilprinzip eigentlich ganz einfach. Die, die wenig haben, bekommen viel, wer viel hat, bekommt wenig oder auch gar nichts. Wir setzen uns aber seit 2017 auch mit der Frage auseinander, wie wir die Altschulden der Kommunen in den Griff bekommen, mit Hilfe des Bundes. Wir haben immerhin erreicht, dass der Bund sich für das Thema geöffnet hat.
Zuletzt ist allerdings schon wieder der Eindruck entstanden, dass der Bundesfinanzminister vor dem Hintergrund sinkender Steuerzuwächse auf die Ausgabenbremse treten will.
Scharrenbach: Die Steuerschätzung war am 6. Mai, die Zusage des Bundes im Juli. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Tür sich da schließt. Wir wissen, dass der Finanzminister ein Interesse daran hat, dieses Thema positiv zu begleiten. Da gibt es Gespräche auf allen Ebenen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen allerdings die Besonderheit, dass in keinem anderen Land die Kommunen so viele Aufgaben haben wie bei uns. Hinzu kommt, dass der Anteil der Kommunen am Steuervolumen des Landes kontinuierlich abgesenkt wurde.
Und das ändern Sie?
Scharrenbach: Ja, wir werden im nächsten Jahr das erste Mal wieder echte 23 Prozent Steuerquote haben, die wir den Kommunen weiterreichen. Das war seit 2006 nicht der Fall.
Warum nicht?
Scharrenbach: Das hing mit dem Fonds Deutsche Einheit zusammen, mit der Finanzierung der Einheit. Das läuft jetzt aus. Das sind immer sehr lange Zeiträume, die man da im Blick hat. Deshalb ist es umso wichtiger, Prioritäten zu setzen. Dazu gehört manchmal auch, der Bürgerschaft zu sagen, dass es viel Wünschenswertes gibt, aber nicht alles auf einmal umgesetzt werden kann. Das ist ehrlich den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. Denn auch die Kommunen können den Steuereuro nur einmal ausgeben und das Land, der Bund und die EU ebenso.
Wir haben in NRW bis 2021 den Stärkungspakt, der es Kommunen verbietet, neue Schulden zu machen. Ist das in Zeiten von Null- oder gar Negativzins nicht kontraproduktiv? Müssten Städte wie Wuppertal, Hagen oder Solingen jetzt nicht Geld aufnehmen dürfen, um ihre Infrastruktur konkurrenzfähig zu machen?
Scharrenbach: Ein spannender Ansatz. Aber wir müssen den Generationenansatz halten. Heißt, nachfolgende Generationen benötigen Handlungsspielräume. Deswegen ist die Nachhaltigkeit auch in der Finanzpolitik ein großes Thema. Hier haben auch die kommunalen Haushalte eine besondere Bedeutung. Wir haben das Problem bei den Kassenkrediten, weniger bei den Investitionskrediten. Wir erleben, dass das viele Geld, das im Umlauf ist, von der öffentlichen Hand gar nicht ausgegeben werden kann, weil die Kommunen die Handwerker nicht finden. Aber ich denke einmal darüber nach.
Die Städte finden die Handwerker auch deshalb nicht, weil die Handwerker keine Lust haben, sich mit dem öffentlichen Formalismus zu beschäftigen, wenn es gleichzeitig genügend Privatkunden gibt. Wollte die neue Landesregierung da nicht etwas ändern?
Scharrenbach: Sie sprechen mir aus der Seele. Ich finde das inzwischen unsäglich im Vergabebereich. Das Ziel ist klar, ich muss allen, die bauen oder Dienstleistungen anbieten wollen, eine gleichmäßige Marktteilnahme ermöglichen. Das ist mittlerweile so kompliziert geworden, dass Kommunen und Unternehmen eigens dafür Juristen beschäftigen müssen, die sich mit Vergaberecht auskennen. Das hemmt. Deswegen haben wir die Unterschwellenvergabeverordnung geändert.
Ach, was.
Scharrenbach: Ja, dabei ist kein anderes Land in der Bundesrepublik so weit gegangen wie wir. Hier haben wir die Schwellen angehoben, unter denen die Kommunen Aufträge frei vergeben können. Das haben wir deutlich verändert. Wir haben gesagt, wir gehen so hoch wie wir können, um die Vergaben und Aufträge zu erleichtern.
Wie hoch sind diese Schwellen?
Scharrenbach: Bei Aufträgen über Liefer- und Dienstleistungen kann der öffentliche Auftraggeber bis zu einem vorab geschätzten Auftragswert in Höhe von 100 000 Euro ohne Umsatzsteuer wahlweise eine Verhandlungsvergabe oder eine Beschränkte Ausschreibung durchführen. Bei Bauleistungen können Kommunen bis zu einem vorab geschätzten Auftragswert von 100 000 Euro ohne Umsatzsteuer eine freihändige Vergabe und bis zu einem vorab geschätzten Auftragswert von einer Million Euro ohne Umsatzsteuer eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb durchführen.
Dennoch entsteht immer der Eindruck, dass die Bundesländer im Süden sich schneller und besser entwickeln als NRW, das immerhin einmal die Herzkammer Deutschlands war.
Scharrenbach: Das hat auch damit zu tun, dass die Kommunen dort weniger kommunale Aufgaben haben als in Nordrhein-Westfalen. Deshalb ist es immer auch eine Frage der Prioritätensetzung der Kommunen.
Sie haben an verschiedenen Stellen gesagt, dass die Kommunen priorisieren und einmal klar benennen müssen, was sie tun wollen. Inwieweit kann Ihr Ministerium die Kommunen dabei unterstützen? Können Sie mehr als appellieren?
Scharrenbach: Wir begleiten da schon sehr viel, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Wohnungswesen und der Städtebauförderung. Da sind wir häufig im direkten Austausch, und dann frage ich auch nach Strategien. Wir haben eine Handvoll Städte, die haben viel zu viel Wohnraum. Dadurch verfallen Preise. Das will im Moment keiner wahrhaben.
Wo zum Beispiel?
Scharrenbach: Gelsenkirchen und Hagen beispielsweise. In solchen Fällen fragen wir schon, wie Städte ihren Wohnraum entwickeln wollen. Dazu braucht es eine übergreifende Verständigung im Stadtrat. Denn: Wohnungsmärkte verändern sich langsam. Veränderungen gehen nicht von heute auf morgen.
Das hat Sinn. Wo Sie Gelsenkirchen schon erwähnen: Die Stadt gilt mittlerweile deutschlandweit als Synonym für Armut. Wie lange kann ein Land wie NRW das ertragen?
Scharrenbach: Grundsätzlich kommt eine solche Entwicklung nicht von heute auf morgen. Diese entwickelt sich über viele Jahre und Jahrzehnte Möglicherweise war das auch eine fehlende Priorisierung im Zusammenhang mit der Frage ,Wo will ich hin mit einer Stadt?´. Wenn sie dann auch noch eine Zusammensetzung der Bevölkerung haben wie Gelsenkirchen, dann ist das eine große Herausforderung. Deshalb schauen wir in Gelsenkirchen genau hin und setzen mit unserer Förderung in der Stadt immer wieder positive Akzente.
Und Gelsenkirchen ist nur der prominenteste Notfall. In weniger schönen Ranglisten taucht auch das Bergische Städtedreieck viel zu häufig weit vorn auf.
Scharrenbach: In so einer Wahrnehmung hängt vieles auch davon ab, wie Menschen selbst über ihre Stadt reden. Wenn Oberbürgermeister sich vor den Berliner Reichstag stellen und die Innentaschen nach außen kehren, dann halte ich das nicht für eine positive Werbung. Wir haben so viel zu bieten im Bergischen Land und auch im Ruhrgebiet. Das Gegenteil von Abgesang ist der Fall.
Im Bergischen Land kann der Eindruck entstehen, dass es mit dem Ruhrgebiet verbunden wird, wenn’s kein Geld gibt. Und wenn es Geld gibt, fließt es ins Ruhrgebiet, haarscharf am Bergischen Land vorbei.
Scharrenbach: Nein, wie gesagt, hier gilt, wer wenig hat, bekommt viel. Das habe ich ja gesagt. Auch hier bietet sich an, dass man eine gemeinsame Perspektive findet für das Bergische Land. Das ist das Entscheidende. Das Bergische hat andere Voraussetzungen. Wenn ich speziell nach Wuppertal schaue, denke ich an die Bundesgartenschau 2031. Das ist keine Luftnummer, das Konzept ist gedacht. Das macht es der Landesregierung leicht zu sagen, das tragen wir mit. Das gilt auch für das Pina-Bausch-Zentrum. Es ist gedacht, es trägt.