„Jingle Bells“ bei 30 Grad - na und?

Der Advent naht — für die Chöre Wuppertals bedeutet das besonders viel Arbeit. Simone Bönschen-Müller leitet gleich sechs.

Foto: Andreas Kling

Das Gute ist, es macht richtig Spaß, und das jedes Jahr von Neuem. Das weniger Gute: Nach fünf Monaten Proben reicht es irgendwann einmal. Weshalb bei Simone Bönschen-Müller an Heiligabend weniger Weihnachtslieder gesungen werden als anderorts in Wuppertal. Ihre Eltern haben sich damit abgefunden, sie sind eh bei jedem Konzert ihrer Tochter dabei. Denn die Leiterin von sechs Chören studiert in der Adventzeit mehr Weihnachtslieder ein als die meisten Bewohner der Stadt.

Zwei Hochzeiten hat das Jahr für Chöre — das Frühjahr und den Herbst beziehungsweise Advent. Im August beginnt die 42-jährige Chorleiterin mit den Vorbereitungen, auch wenn es manchmal komisch anmutet bei 30 Grad „Jingle Bells“ anzustimmen. „Es dauert eh bis Mitte/Ende Oktober, bis alle da sind“, weiß Bönschen-Müller, die — im Unterschied zu den Chormitgliedern — Gesang und Klavier studiert hat. Und deshalb wohl auch einen etwas höheren Anspruch hat, immer wieder am Spagat zwischen Leistung und Geselligkeit arbeiten muss. „Ich weiß, ich verlange oft zu viel und bin froh, dass meine Sängerinnen und Sänger großzügig mit mir sind.“ Wenn man aber auf der Bühne das Gefühl habe, das Liedgut zu beherrschen und alles gut laufe, seien eh alle froh und niemand nach dem Auftritt mehr böse. Zuvor aber werden die wöchentlichen Proben schon mal „nach hinten ausgedehnt“ und die eine oder andere Sonderprobe angesetzt. „Ganz ohne Stress geht es am Ende nicht. Das ist normal“, sagt die Power-Frau.

Da hilft es schon, dass die Weihnachtsliteratur weniger umfangreich ist als die weltliche und das Publikum durchaus auch auf Tradition setzt. Heißt: Dass nicht jedes Jahr ein völlig neues Repertoire einstudiert werden muss. Gleichwohl versucht Bönschen-Müller stets auch neue Lieder aufzunehmen, zum Beispiel aus Amerika oder modernere Liedfassungen. Das kommt auch bei Jüngeren gut an, um die Bönschen-Müller, wie alle Chorleiter, ringen muss. Dabei ist sie in der komfortablen Lage, dass ihre Chöre — der BTV Ronsdorf-Graben, der MGV Alemannia Vohwinkel, der Elberfelder und der Vohwinkeler Frauenchor, der Paul Volkmann Chor und das Vokalensemble TonTaler — untereinander aushelfen, wenn Not an Stimme herrscht.

Überraschungen sind im Advent 2017 nicht zu erwarten. Auf dem Programm der Chöre stehen traditionelle und neuere Lieder, wobei es einen Unterschied macht, ob das zwischen anderthalb bis zweieinhalb Stunden lange (je nachdem, ob es eine Pause gibt) Konzert in einem Gemeindesaal oder einer Kirche stattfindet. „Stille Nacht“ oder „Alle Jahre wieder“ sind in den Gotteshäusern meist erst ab viertem Advent üblich.

Die Chorleiterin selbst schätzt besonders “Winter Wonderland“ oder „White Christmas“. „Ich mag aber auch ’Leise rieselt der Schnee’. Im Grunde mag ich beides, die Mischung macht’s.“ Außerdem wird das Publikum ins Programm einbezogen, das gerne ins Singen einstimmt. Ein Weihnachtskonzert (in Ronsdorf) begründete Ende 2005 auch die Chorleiterkarriere von Simone Bönschen-Müller, die ursprünglich als Sopran-Sängerin aktiv war. Sie hatte gerade ihren Part beendet, als der Leiter des mit ihr auftretenden Männerchores sie bat, das Konzert zu Ende zu dirigieren. Der spontane Einsatz hatte Folgen: Der damalige Vorsitzende des Sängerkreises Wuppertal war so angetan, dass er Bönschen-Müller fragte, ob sie sich weitere Dirigate vorstellen konnte. Sie konnte: Im Sommer 2006 übernahm sie den MGV Caecilia Barmen, „und dann kam ein Chor nach dem anderen“. Positiver Nebeneffekt: Zeit für das eigene Singen blieb nicht mehr — was der strapazierten Stimme sehr zupass kam. Und so hielt sich die Trauer um das Ende der Gesangskarriere in Grenzen. Bleibt bei alldem noch Platz für neue Aufgaben? „Ich freue mich über jeden neuen Chor, den ich bewegen und verbessern kann“, sagt Bönschen-Müller voller Elan.