Citykirche Wuppertal Journalismus im Zeitalter von Fake News

Wie müssen sich Journalisten im Zeitalter der Fake News positionieren? Darüber diskutierten FAZ-Ressortleiter Rainer Hank und WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel in der Citykirche.

Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Wäre US-Präsident Richard Nixon heute nach der berühmten Watergate-Affäre zurückgetreten? Vermutlich nicht, glaubt WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel. „Wenn Sie lügen, müssen Sie nur konsequent und dauerhaft lügen, dann können Sie auch damit erfolgreich sein“, sagt der Journalist angesichts der Fülle von Fake News, die heutzutage vornehmlich über die Sozialen Netzwerke geteilt werden und das öffentliche Bewusstsein prägen.

Wie sieht journalistisches Arbeiten im postfaktischen Zeitalter aus? Dieser Frage gingen in der Citykirche WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel und FAZ-Ressortleiter Rainer Hank nach. Prof. Michael Scheffel vom Lehrstuhl für Allgemeine Literaturwissenschaft und Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Bergischen Uni Wuppertal moderierte das Podiumsgespräch mit anschließender offenen Fragerunde.

Die Redakteure stellten zunächst fest, dass auch das Handwerk des Journalisten ein anderes geworden ist. Rainer Hank erinnerte sich zurück an eine Zeit, als ein Wirtschaftsartikel eine formelhafte Aneinanderreihung von Zahlen und Fakten war. „Man musste sich da nicht so viel Gedanken machen, die Leute haben das gekauft“, sagte der Wirtschaftsjournalist. Heute erwarte der Leser immer eine Geschichte.

„Hast du keine Zeile, hast du keine Geschichte“ — eine einfache Regel, die heute in Redaktionen gilt, so Tückmantel. Zielt der Artikel nicht auf eine Überschrift ab, steckt im Kern kein narratives Element, dann verkümmert das Thema wahrscheinlich als Stichwortsammlung im Block des Reporters. Wie fiktive Geschichten dürfen journalistische Erzählungen heute auch Protagonisten und Antagonisten haben, führte Tückmantel aus. Hank spricht sogar von „Cliffhangern“ zwischen einzelnen Absätzen, „so wie Sie das bei der Fernsehserie ,House of Cards’ kennen“.

Fiktion oder Nachricht? Für den Leser mag diese Grenze verschwimmen. Aber, das stellten die Redner heraus, das journalistsche Produkt unterscheidet sich durch das Handwerk. Der Journalist trenne etwa scharf zwischen Nachricht und Meinung und sichert seine Fakten durch mindestens zwei unabhängige Quellen ab.

Was die Lage erschwert: Die Tageszeitung sei nur noch ein Instrument im Orchester, so Tückmantel mit Blick auf die Informationsflut im Internet. „Twitter und Facebook scheren sich einen Teufel um journalistische Texte“, sagt Rainer Hank. Am Ende liegt die Aufgabe beim Empfänger, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Erschwerend kommt hinzu, dass digitale Riesen wie Google und Facebook Nachrichten nach den eigenen Kriterien gewichten. Gleichzeitig komme heute jeder zweite Nutzer über genau diese Portale auf die Seite der WZ. Der Chefredakteur finde das bedenklich: „Heute bestimmt der Gesprächswert das Ranking von Nachrichten.“ Spannende Nebensächlichkeiten schieben sich so unter Umständen vor wichtige, aber vielleicht schwer verdauliche Nachrichten.

Hier hakte Rainer Hank ein und stellte die Frage, ob sich der Journalist eigentlich anmaßen dürfe, dem Leser vorzuschreiben, was wichtig ist. „Was spricht dagegen, eine Zeitung zu machen, die das Interesse des Kunden weckt?“, fragte er. Ulli Tückmantel entgegnete: „Ich werde von meinen Lesern dafür bezahlt, dass ich ihnen Orientierung gebe.“

Als Zeitung müsse man seiner Meinung nach heutzutage öfter Haltung beziehen — und seine Leser offen in den Prozess einbeziehen. Als Beispiel nannte Tückmantel das Foto des toten syrischen Kindes am Strand, das die WZ aus ethischen Gründen ebenso wenig gezeigt hat, wie das Gesicht des Germanwings-Piloten, der im März 2015 einen Airbus A320 zum Absturz brachte.

Aus dem Publikum auf die Bedeutung von Livetickern bei Unglückslagen angesprochen, machte Tückmantel klar, dass er kein großer Freund dieser Art der Berichterstattung ist, weil sie oft fehlerbehaftet sei: „Haben Sie Verständnis, dass wir Zeit brauchen, um Nachrichten zu überprüfen.“ Er sehe bei der Verbreitung von Falschmeldungen und Halbwahrheiten auch die Rezipienten in der Verantwortung,: „Teilen Sie das nicht. Sie sind heute Mittäter.“