Vortrag Jugendsprache: Vom Anbbaggern zum Gruscheln

Prof. Jürgen Baurmann referierte in der Johanneskirche über die Jugendsprache.

Offener Abend in der Johanneskirche mit Germanistik-Professor Dr. Jürgen Baurmann.

Foto: Fischer, Andreas

Jugendsprache – für Erwachsene ein Buch mit sieben Siegeln? Jürgen Baurmann sieht das nicht so. Der Germanistik-Professor, der bis 2006 an der Wuppertaler Uni lehrte, hat zum Thema Jugendsprache gearbeitet und publiziert. Beim Offenen Abend in der Johanneskirche gab er 50 Zuhörern einen Einblick in seine Forschung und war gleichzeitig bemüht, Vorurteile abzubauen.

Dass viele Begriffe unverständlich und derb wirkten, gab Baurmann zu. Zunächst einmal sei Jugendsprache aber nichts anderes als ein eigener Stil – so wie Handwerker, Ärzte und Sportler eben auch ihre eigenen Vokabeln hätten. Selbstverständlich habe sie wie jede Gruppensprache ihre Grenzen. In Situationen, in denen Respekt, Interesse und Mitgefühl gefordert sind, seien Selbstinszenierung und provozierende Redewendungen fehl am Platz.

Mehrfach betonte der Referent den Erfindungsreichtum der Teenager. An den Worttabellen, die er an die Wand warf, ließen sich die Entwicklungen ablesen. Wenn es darum ging, jemanden zu umwerben, war in den 1990er Jahren beispielsweise von „anbaggern“ die Rede. Nach 2000 kam die Wortschöpfung „gruscheln“ auf, zusammengesetzt aus „grüßen“ und „kuscheln“.

Jungs haben Spaß am Weglassen von Wörtern und an Kürzelsätzen

Baurmann ging auch auf geschlechtsspezifische Unterschiede ein. So verwenden Jungen doppelt so viele Anglizismen als Mädchen und sind auch beim Weglassen von Wörtern Spitze. Letzteres führt zu Kürzelsätzen wie „Isch geh Kino“. Dafür ist das Erfinden und Benutzen von Schimpfwörtern bei Jungen und Mädchen gleichermaßen beliebt.

Nicht überall wo Jugendsprache drauf steht, ist auch Jugendsprache drin. Kritisch sah Baurmann die Aktion „Jugendwort des Jahres“, die von einem renommierten Wörterbuchverlag organisiert wird. Schon das Einreichen von Vorschlägen per Internet-Voting sei undurchsichtig. Außerdem: „Wer gehört zur Jury?“ Die Namen der Mitglieder seien jedenfalls nicht bekannt. Baurmann erwähnte eine Reihe von wissenschaftlichen Experten – darunter seine Kollegin Eva Neuland, die aktuell an der Bergischen Universität zum Sprachgebrauch von Jugendlichen forscht. „Von den dreien ist keiner dabei, weil das unseriös ist.“

„Welches Wort hätten Sie zum Jugendwort gewählt?“, fragte er in die Runde und legte die „Top Ten“ zum Jugendwort des Jahres 2018 vor. Die spontanen Vorschläge reichten von „Lauch“ (Synonym für „Trottel“) bis „lindnern“ (Umschreibung für Situationen, in denen man lieber nichts macht statt etwas Schlechtes) – besonders die Anspielung auf Christian Lindner und die geplatzten Gespräche zur Jamaika-Koalition sorgte für Heiterkeit. Manche hatten allerdings grundsätzliche Zweifel. Ihm sei „alles fremd“, meinte Zuhörer Peter Trabitzsch. „Das hat sich der Verlag vielleicht selber ausgedacht.“ „Die Jugendlichen, die ich kenne, haben keines dieser Wörter auf Lager“, sagte eine Zuhörerin.

Groß war die Überraschung, als Baurmann das tatsächliche Jugendwort 2018 nannte. „Ehrenmann/ Ehrenfrau“ – dieses Wortpaar hatte keiner auf dem Schirm gehabt. Angesichts von Jury-Kriterien wie Kreativität und Originalität hat man weitere Gründe, sich zu wundern.

Der Methode Internet-Voting zieht der Sprachwissenschaftler Befragungen von Jugendlichen zu ihrem Sprachgebrauch vor. „Wir sprechen halt so, wenn wir jung sind“, zitierte Baurmann eine 16-Jährige. „Irgendwann hören wir dann damit auf, wenn wir in den Beruf gehen.“