"Baumeister Solness": Gewissensbisse im Opernhaus
Marcus Lobbes ist ein Experte für Generationenkonflikte: Nach „König Lear“ inszeniert er nun „Baumeister Solness“.
Wuppertal. König Lear ist Vergangenheit, Baumeister Solness gehört die Zukunft — das gilt zumindest mit Blick auf den Spielplan der Wuppertaler Bühnen. Denn Marcus Lobbes plant ein dramatisches Finale: Die letzte Premiere der Saison geht am Samstag im Opernhaus über die Bühne.
Lobbes, der in der vergangenen Spielzeit Shakespeares Königsstück radikal gekürzt hatte und das Publikum in zwei Lager — in Bewunderer und Entsetzte — teilte, weil er im fliegenden Wechsel jedem seiner Schauspieler die Rolle der Majestät zuerkannte, setzt nun voll und ganz auf einen norwegischen Kaufmanns-Sohn: Henrik Ibsen soll die passende Basis für einen krönenden Saison-Abschluss bieten.
Dabei haben „Baumeister Solness“ und „König Lear“ Entscheidendes gemeinsam: Für den Regisseur, der sich in Wuppertal auf das Thema Demographie spezialisiert hat, ist das Ibsen-Spiel „eine logische Fortsetzung“ seiner Shakespeare-Arbeit. „Bei ,König Lear’ haben wir uns mit der Spitze der Alterspyramide beschäftigt: Wie gehen wir mit unseren Alten um, was sind sie uns wert, wie sehen sie sich selbst?“
Fragen, die Lobbes nach wie vor unter den Nägeln brennen. Deshalb geht der Generationenkonflikt nun in eine neue Runde — und wird durchaus ironisch gesehen. Das Ende ist jedenfalls abzusehen, wie das Bühnen-Team ankündigt: Baumeister Solness, „der beruflich im Zenit steht, die heranstürmende Jugend in Schach hält und den Rivalen mit allen Mitteln unterdrückt, fällt zu Tode, weil er sich wie ein verschossener Teenager von einem quirligen Backfisch zu pubertärem Leichtsinn verleiten lässt“.
Marcus Lobbes, Regisseur
Mit anderen Worten: Obwohl der Baumeister nicht mehr schwindelfrei ist, erklimmt er der lebenslustigen Hilde (Juliane Pempelfort) zuliebe noch einmal einen Turm, um den Richtkranz anzubringen — ein Höhenflug der Gefühle, der zum Absturz führt.
Die (Vor-)Geschichte ist mehr als 100 Jahre alt: „Bygmester Solness“, wie das 1892 erschienene Drama im Original heißt, war die literarische Antwort des damals 63-jährigen Henrik Ibsen auf die Kritik des jungen Knut Hamsun, der als Seitenhieb Richtung Ibsen meinte, man müsse „alte Bauplätze ausheben, um Platz für Neues zu schaffen“. Was Lobbes daran heute noch reizt? „Halvard Solness repräsentiert die Mitte der Alterspyramide“, analysiert der Spielmacher. „Er ist zwar erfolgreich und anerkannt, hat aber seinen Ruhm und Erfolg auf seinem rigorosen Verhalten gegenüber der Vorgänger-Generation, den Kollegen und der Familie gegründet. Nun plagt ihn neben der Angst, dass es ihm genauso ergehen könnte, auch die Schuld, die er angehäuft hat und deren mögliche Folgen er erst jetzt erkennt.“
Die Gewissensbisse wird Thomas Braus durchleben: Der Schauspieler, der schon bei „König Lear“ unter Lobbes’ Federführung Theater machte, schlüpft in die Rolle des Baumeisters. „Im scheinbaren Dialog mit seiner Umwelt entwickelt er ein Bild von den Menschen um sich herum, das ihn alles als Bedrohung erleben lässt“, erklärt der Regisseur. „In Wirklichkeit jedoch findet keinerlei Handlung oder Auseinandersetzung statt. Alles bleibt innerer Konflikt.“
Den äußeren Rahmen liefert Pia Maria Mackert (Bühne und Kostüme), die auch „König Lear“ ausstaffiert hatte. Die wichtigste Rolle haben aber nach wie vor die Zuschauer. Die Shakespeare-Version fanden manche faszinierend, andere wiederum abstoßend. Das macht die Premiere umso spannender: Wie der Baumeister in Barmen ankommt, zeigt sich am Samstag ab 19.30 Uhr.