"Dead-Lines": In Barmen trägt der Tod Lipgloss
Birgit Richard ist Spezialistin für Jugendkultur und hat die Ausstellung „Dead-Lines“ mit kuratiert, die noch bis zum 14. Februar in der Kunsthalle zu sehen ist.
Barmen. Die Jugend und der Tod — das scheint eine seltsame Liaison zu sein. Die Ausstellung „Dead-Lines“ in der Von-der-Heydt-Kunsthalle Barmen beschäftigt sich nicht nur mit Todesbildern in der zeitgenössischen Kunst, sondern auch mit der Präsenz von Todessymbolen in Jugendkulturen. Anne-Kathrin Reif sprach mit Prof. Dr. Birgit Richard über das Thema.
Sie haben gemeinsam mit Oliver Zybok die Ausstellung „Dead-Lines“ kuratiert. Wie wurden Sie zur „Spezialistin für Todesbilder“?
Birgit Richard: Ich habe 1995 über das Thema „Todesbilder in Kunst, Subkultur und Medien“ promoviert. Damals habe ich mir angeschaut, wie Künstler sich mit dem Tod und Sterben auseinandersetzen und vor allem die Jugendkulturen wie Gothic, Industrial und Punk. Dabei habe ich festgestellt, dass die Jugendkulturen das Thema eben nicht, wie damals häufig angenommen, verdrängen, sondern mit in ihrer Ästhetik verarbeiten.
Sie sind heute Professorin für Kunst und Medien an der Goethe-Universität Frankfurt und leiten dort das Jugendkulturarchiv. Welche Rolle spielt das Thema Todesbilder in diesem Rahmen?
Richard: In einem großen Teil der Sammlung ist der Tod in Form von Totenköpfen, Skeletten oder gekreuzten Knochen etwa als Muster oder Aufdruck präsent oder auch in Schmuck und Accessoires. In den „schwarzen Stilen“ wie Gothic, Punk, Metal und Emu (Emotional Hardcore) sind es sogar zentrale Symbole des Stils. Die Todessymbole werden dabei verschieden eingesetzt — als Schock und Provokation (was freilich nicht mehr so recht funktioniert) — aber auch als Zeichen des Nachdenkens über den eigenen oder den Tod der anderen.
Sie haben einige Vitrinen mit entsprechenden Beispielen bestückt. Stammen die Gegenstände alle aus Ihrer Sammlung?
Richard: Ja, aber einen Teil habe ich kurz zuvor noch auf einer kleinen Einkaufstour in Wuppertal und Remscheid erstanden. Innerhalb einer Stunde hatte ich eine große Plastiktüte voll!
Das heißt, Todessymbole in Form von Skeletten und Totenköpfen sind allgegenwärtig. Ihre kleine Sammlung zeigt sie auf Socken, Halstüchern, BHs, als Schmuckstücke in jeder erdenklichen Form und auf unzähligen Accessoires vom Radiergummi bis zum Lipgloss. Der Totenkopf schreckt also niemanden mehr. Hat deshalb auch der Tod etwas von seinem Schrecken verloren?
Richard: Der Tod an sich nicht. Aber wir fürchten ja vor allem bestimmte Arten des Sterbens wie langes Leiden bei Krankheit mehr als den Tod selbst. Im Umkreis der modischen Accessoires symbolisiert der Todessymbolik — anders als bei den Jugendkulturen — keinen Schrecken. Es ist ein dekoratives Muster unter anderen, eine weitergehende Reflexion ist damit nicht verbunden.
Außerhalb bestimmter Kreise wie etwa gewisser Motorradgangs oder Heavy-Metal-Anhänger wird man kaum Erwachsene finden, die sich solcher Accessoires bedienen. Wie erklären Sie sich das?
Richard: Sich mit solchen Symbolen zu umgeben, ist ein Privileg der Jugend. Eigentlich ganz natürlich: Je näher man sich auf das eigene Lebensende zubewegt, umso weniger möchte man daran erinnert werden.
Sie beschäftigen sich seit beinahe zwei Jahrzehnten mit Todesbildern in den Jugendkulturen. Haben Sie in dieser Zeit eine Veränderung beobachtet — etwa unter dem Einfluss der neuen Medien?
Richard: Ja, durchaus. Todesbilder und der tote Körper sind sehr viel sichtbarer geworden. Inzwischen kann man im Internet, aber auch in TV-Serien nahezu alles sehen — zerstückelte Leichen, tote Körper, Morde, Unfälle, Attentate. Ein Beispiel ist auch die Internetplattform Flickr.com: Dort gibt es 5816 Gruppen, in denen sich junge Menschen mit dem Thema Tod auseinandersetzen oder sich selbst als Tote inszenieren.
„Dead-Lines“ zeigt vielfältige visuelle Auseinandersetzungen mit dem Tod in der Kunst der Gegenwart. Haben Sie Reaktionen von Jugendlichen sammeln können?
Richard: Ja, die Jugendlichen sind sehr interessiert. Zunächst aber besonders an den Sachen, die sie selbst kennen, die sie betreffen. Aber dann auch zunehmend an den Kunstwerken. Die Reaktionen waren durchweg positiv — auch weil die Ausstellung viele Aspekte des Themas zeigt, welche die Jugendlichen so nicht kennen.