Dick aufgetragen: „JR“ im Opernhaus

Kunst gegen Kapitalismus — die Inszenierung zeigt neue Deutungen.

Foto: Tom Buber

Wuppertal. Dass das große Opernhaus auch eine kleine Schauspielbühne bergen kann, zeigte am Freitagabend die Uraufführung „JR“ in der Inszenierung von Marcus Lobbes. Nach dem Roman von William Gaddis hat Tom Peuckert eine neue Textfassung geschrieben. Er nimmt die Gaddis-Handlung als Rahmen und fokussiert etwa auf die Frage: Was kann die Kunst der Macht des Geldes entgegen setzen?

Das Publikum sitzt diesmal im ansteigenden Gestühl auf der Bühne, der vordere Teil ist eine kleine Spielfläche mit breiter Projektionswand. Die zeigt zunächst Bilder aus amerikanischen Kleinstädten. Davor agiert JR: ein cleverer, aber vernachlässigter Junge, der sich Schritt für Schritt die Mechanismen der Hochfinanz aneignet. „Kauf auf Kredit und Verkauf für Bares“, „Verkaufe und lease es zurück“ oder „Alles ist so viel wert, wie irgendein Idiot dafür bezahlt“ — das hat JR in der New Yorker Börse schnell verinnerlicht.

Seine Mitspieler bleiben im Schattenriss zunächst anonym: Etwa der an sich selbst zweifelnde Komponist (Thomas Braus) oder der erfolglose Schriftsteller (Markus Haase). Großartig verkörpert Andreas Helgi Schmid den hyperaktiven Elfjährigen: stets quasselnd, in der Nase bohrend oder verlegen an den Hosenträgern zupfend.

Was Gaddis als böse Satire auf den Missbrauch des Kapitalismus im Amerika der 1970er Jahre erdachte, erweitert die neue Bühnenfassung. Sie thematisiert nicht nur den Persönlichkeitsverlust mächtiger Wirtschaftshaie, den scheinbar unvereinbaren Kontrast von Finanzmarkt und Kunst, sondern beklagt auch die Ausbeutung der Natur. So preist Christoph Schüchner als „Smokey Bear“ im Bärenfell die herrliche Natur Amerikas und zitiert die indianische Weisheit, die besagt, das man Geld nicht essen kann.

Zur Mitte der Aufführung hin stehlen sich immer häufiger Wuppertal-Bezüge ins Geschehen: Da tauchen im Video die Schwebebahn im Hintergrund der amerikanischen Szene und bekannte Straßennamen auf. Nicht nur JRs Finanzimperium bricht zusammen. Auch das vor sich hin rottende Wuppertaler Schauspielhaus wird mitsamt allen Bühnenelementen „entsorgt“. Das erscheint vordergründig und plakativ.

Der „Abgesang“ mit der eingespielten Bach-Kantate „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ und der Rausschmiss mit der plärrenden „Polonäse Blankenese“ lassen keinen Zweifel offen: Hier werden mit dem Mut der Verzweiflung aktuelle Bezüge gesucht. Die Schauspieler lassen sich nicht beklatschen, sondern verharren am Ende bewegungs- und arbeitslos in den Sesseln des riesigen, leeren Zuschauerraumes, während das Publikum auf dem Weg nach draußen betreten vorbei defiliert. Fazit: Tom Peuckert und Marcus Lobbes haben dem Stück doppelt neue Deutungen übergestülpt und dabei — sicher aus guten Gründen — dick aufgetragen.