Eine Sternstunde des Konzertlebens
Radu Lupu macht Haydn, Schumann, Tschaikowsky und Schubert zum delikaten Hörerlebnis.
Wuppertal. Den derzeitigen Medienhype macht Radu Lupu nicht mit. Eine Homepage findet man nicht. Sein Facebook-Account ist dürftig. Interviews gibt er nicht. Er mag keine Öffentlichkeit. Um seine Person macht er überhaupt kein Aufhebens. Dennoch oder gerade deswegen ist er einer der ganz großen internationalen Pianisten. Ihm geht es nur um die Musik. Und diese Haltung kommt an.
Restlos ausverkauft war der Mendelssohn Saal der Stadthalle, als der 71-Jährige für sein Konzert im Rahmen des Bayer-Klavierzyklus bescheiden die Bühne betrat, sich kurz verbeugte, auf einem normalen Stuhl Platz nahm und ganz ruhig mit den Variationen in f-Moll (HOB XVII:6) von Joseph Haydn begann. Zartfühlend ging er mit der Tastatur um.
Selten zuvor hat man eine derart feine Anschlagskultur wahrgenommen. Er feilte an dem Notentext, arbeitete Haupt- und Nebenstimmen klar heraus, zog sensibel große musikalische Spannungsbögen über die sich abwechselnden Dur- und Mollteile. Hier wie auch bei der Fantasie in C-Dur op. 17 von Robert Schumann ging er dezent mit dem rechten Pedal um. Nie kamen aufdringliche Töne aus dem großen Konzertflügel.
Vielmehr entlockte er ihm beseelte, warme, weiche Klänge. Selbst im Notentext stehende kraftvolle, laute Passagen kamen Mezzoforte daher, ohne jedoch zu verhalten zu wirken. Es machte überhaupt nichts aus, dass wegen des zärtlichen Dahingleitens der Finger über die Tasten ein paar Töne vermisst wurden. Denn hier machte ein Interpret Musik, die an tiefer Auslotung und Nuancenreichtum keine Wünsche offenließ.
Wie aus einem Guss kam außerdem der Zyklus „Die Jahreszeiten“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky mustergültig präzise daher. Geborgen saß man etwa im Januar am Kamin. Umwerfend innig spielte Lupu die Juni-Barkarole, schlichte elegische Züge nahm das Herbstlied an. Elegant, besonnen, entspannt war sein Gang vom Jahresbeginn bis zu seinem Ende. Natur und menschliche Psyche, das andauernde Werden und Vergehen, Vertrautheit wie ausgelassen frohe Gemeinschaft: Die den zwölf Charakterstücken innewohnenden Eigenschaften vermittelte der Grandseigneur weise und hochemotional.
Doch nach der finalen weihnachtlichen Seligkeit im Dreivierteltakt war noch nicht Schluss. Die Konzertbesucher erlebten einen Interpreten von Franz Schubert, der ihn auch am Klavier als epochalen Liedkomponisten versteht. Das zweite der vier Impromtus in As-Dur aus D 935 als Zugabe „sang“ traumhaft schön. Wer live klassische Musik mag, bei der die Augen nichts zu tun bekommen, sondern allein die Ohren wichtig sind, für den war dieser Abend eine Sternstunde im Wuppertaler Konzertleben.