Neuanfang Herman van Veen: Barde, Clown und Tausendsassa
Ein Neuanfang mit fast 72 Jahren: Herman van Veen begeisterte das Publikum in der ausverkauften Stadthalle.
Wuppertal. Es ist Punkt 20 Uhr, der große Saal der Stadthalle gerappelt voll. Sofort werden ein paar Fans ungeduldig, fangen an zu klatschen. Gemach, gemach, nur keine Hektik aufkommen lassen. Drei Minuten später ist es soweit: Im knallroten Hemd kommt er auf die Bühne. Seine Haare um die Halbglatze scheinen noch weißer geworden zu sein. Begleitet wird er von sieben Musikern, die seine Enkel oder Kinder sein könnten: Herman van Veen, der selbst ernannte holländischen Clown, Barde, Bänkelsänger.
Seine „Fallen oder Springen“-Tournee, benannt nach seinem jüngsten Album, ist für ihn im Alter von fast 72 Jahren ein Neuanfang. Denn wenn nach 50 Jahren sein Alter Ego Erik van der Wurff nicht mehr da ist, der nicht nur als Pianist und Komponist immer an seiner Seite war, ist nichts mehr wie zuvor. In der Mitte des Programmhefts gibt es ihm zu Ehren eine Doppelseite. Ganz klar, dass er ihm als eine der Handvoll Zugaben „Ich lieb’ dich noch“ widmet.
Doch nicht nur an ihn erinnert er sich, auch an seine Eltern, Großeltern und eine Lehrerin damals auf der Montessori-Schule. Er ist altersweiser geworden seitdem. Mit einem Hauch von Trauer kommt „Manchmal habe ich morgens das Gefühl, ich rasiere meinen Vater“ durch das Mikrofon.
Er ist sich aber auch nicht zu schade, die Vergangenheit neu zu beleben. Dann ist da der van Veen, wie er seit etwa einem halben Jahrhundert bekannt ist. Er steppt, tanzt, wirbelt Hüften-schwingend wie ein junger Hüpfer übers Bühnenparkett, wenn seine Band mit Little Richards „Tutti Frutti“ oder Chuck Berrys „Roll over Beethoven“ losfetzt. Der Evergreen „Marina“ von Rocco Granata kommt schwer schwärmerisch aus den Lautsprechern. So kennt man ihn, den Tausendsassa.
Der Harlekin bekennt aber auch klar Farbe zu aktuellen Ereignissen. Wenn er im Mittelmeer die Beine baumeln lässt und eine Plastikente herantreibt, denkt er an das Spielzeug eines ertrunkenen jungen, dunkelhäutigen Flüchtlings. Mit Zeilen wie „Wo ist der Gott, der sagt, dass mein Sohn nur Frauen lieben darf, …. , dass meine Tochter nur Männer lieben darf“ ruft er zur Toleranz im Miteinander auf. Bei solchen Passagen wird es ad hoc ganz ruhig im weiten Rund. Dazu tanzt sein Bogen auf den Geigensaiten, er haut auf die Trommel, reißt die Gitarrensaiten an, lässt seine Finger über die Flügeltastatur gleiten.
Und was macht der „Nachwuchs“ dabei? Der spielt auf wie ein alter Hase. Die beiden Geigerinnen Jannemien Cnossen und Saskia Egtberts sowie der Klarinettist Rikkert van Huisstede gehen ganz fein mit ihren Instrumenten um und sorgen für schöne Hintergrundgesänge. Bassist Kees Dijkstra, Gitarrist Robin Scherpen und Schlagzeuger Yordi Petit kümmern sich um ein in allen Belangen nuanciertes musikalisches Fundament. Last but not least begeistert Edith Leerkes an der Akustikgitarre solistisch mit tollen iberischen Einlagen.
Altes und natürlich viel Neues war an dem etwa zweieinhalbstündigen Abend dabei. Angefangen mit dem Titelsong „Und jede Minute hast du die Wahl, gehe oder bleibe ich, spreche oder schweige ich, gebe oder bitte ich, falle oder springe ich“ bis zum finalen „Ich lieb’ dich noch, nach all der langen Zeit. . ., ich lieb’ dich noch. Wir machen es uns oft nicht leicht, und doch ich lieb’ dich immer noch“ verging die Zeit wie im Flug. Keinen hielt es zum Schluss mehr auf den Sitzen.