„Erinnerung an unser Männeken“

Serie Kunst ist überall: Der Bökelbrunnen - der nackte Bronzeknabe mit den zwei Vögeln gehört zum Johannisberg, stand aber schon an drei Standorten.

Foto: Fotosammlung Stadtarchiv Wuppertal/Anna Schwartz

Wuppertal. „Männeken Pis“ wird der Brunnen im Volksmund genannt — doch das ist rein faktisch schon nicht haltbar, weil der Wuppertaler Knabe nur aus den Seiten der Kugel plätschert, auf der er steht. Das Brüsseler Original wurde seit 1619 zwar einige Male gestohlen, doch der Standort in der Innenstadt der belgischen Hauptstadt blieb immer gleich. Da ist der unbeschwerte Nackedei mit den zwei Vögeln in der Hand ein ganz klein wenig mehr herumgekommen.

Foto: Fotosammlung Stadtarchiv Wuppertal/Anna Schwartz

Mitten im Ersten Weltkrieg machte man sich im Elberfelder Verschönerungsverein Gedanken, wie man denn das 50-jährige Bestehen würdig begehen könne, das drei Jahre später anstand. Am 4. August 1917 schrieb der Verein einen Brief an den Oberbürgermeister, zum Jubiläum im Jahr 1920 wolle man der Stadt einen von Erich Cleff entworfenen Brunnen schenken. Die Finanzkommission und die Stadtverordneten-Versammlung stimmten dem noch im gleichen Jahr zu.

Doch der Krieg und seine Folgen verzögerten die Umsetzung der Pläne. Zwar hatte die Firma Schilling aus Kirchheim bei Würzburg das Brunnenbecken aus Muschelkalk im Dezember 1918 fertig gestellt, wie Ruth Meyer-Kahrweg in ihrem Buch über „Denkmäler, Brunnen und Plastiken in Wuppertal“ schreibt. Doch wegen der noch nicht aufgehobenen Bahnsperre konnte das Becken nicht verschickt werden.

Außerdem war es unmittelbar nach dem Krieg schwierig, Bronze für den Guss der Figur zu bekommen. Und dann wurde auch noch der Bildhauer Cleff krank. Zum 50-jährigen Bestehen des Verschönerungsvereins im Mai 1920 wurde der Brunnen deshalb zunächst ohne den Bronzejungen aufgestellt. Als Standort hatte man einen kleinen Platz im Bökel ausgesucht — ein bereits 1526 erwähntes Fachwerkviertel, das auf dem heutigen Johannisberg lag. Von dem Platz führte damals eine Treppe hinauf zur Bahnhofstraße.

Es dauerte noch fast zwei Jahre, bis auch die Figur endlich fertiggestellt war. Die Freude darüber währte allerdings nur kurz, denn im April 1922 war „das Brunnenbuberl am Bökel einem rohen Attentat ausgesetzt“, schrieb damals der „General-Anzeiger“. „Mehrere Personen versuchten unter dem Schutz der Dunkelheit, das Bronzefigürchen von dem Steinsockel, auf dem es erst kurze Zeit angebracht war, herabzureißen.“

Die Reparatur der Figur nahm einige Wochen in Anspruch. Die Kinder des Viertels waren bekümmert, sie glaubten wohl, der Bronzejunge wäre dauerhaft entfernt worden. Sie organisierten daher eine feierliche Trauerfeier, über die der „General-Anzeiger“ berichtete: Sie legten einen großen Eichenkranz, ein silbernes Kreuz und ein Schild mit der Inschrift „Zur Erinnerung an unser totes Männeken“ am Brunnen nieder.

Als das Bökel-Viertel 1943 beim Luftangriff zerstört wurde, blieb auch von dem Brunnen nichts übrig. 1961 stiftete der Verlag W. Girardet, der den „General-Anzeiger“ herausgab, einen neuen Bökelbrunnen. Er wurde am 9. Juni 1961 an einem neuen Standort eingeweiht: Weithin sichtbar auf einem kleinen Platz am Kopf der Treppe, die von der Bahnhofstraße zur Südstraße führte. Der damals über 80-jährige Erich Cleff fertigte auch die zweite Figur. Der Bildhauer, der seine Kindheit und Jugend in Elberfeld verbracht hatte, starb kurz nach der Einweihung am 20. Dezember 1961. Das Becken des zweiten Brunnens ist allerdings aus Granit und wurde im Fichtelgebirge hergestellt.

Wer auch immer die Inschrift außen in die Brunnenwand gemeißelt hat und wer auch immer das vor der Einweihung nicht kontrolliert hat — die Jahreszeilen sind jedenfalls auf der Zeitschiene verrutscht. Denn der Brunnen wurde nicht 1919, sondern 1920 aufgestellt, und auch nicht 1960, sondern 1961 wieder errichtet. „Zur Erinnerung an das alte Elberfeld“ heißt es weiter — das passt ja gestern wie heute.

Als die Stadtsparkasse auf dem Johannisberg 1996 ein neues Verwaltungsgebäude baute und der ganze Hang umgestaltet wurde, wurde der Brunnen an die Straße Johannisberg versetzt, schräg gegenüber dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium. Dort steht der Knabe heute zwischen Parkdeck und breiter Treppe zur Bahnhofstraße — ein wenig versteckt, aber unverändert heiter.