Experiment in Elberfeld: Das große Aufräumen im Theater

Anne Hirth inszeniert zum ersten Mal im Tal. Es geht um die Themen Archiv und Verfall.

Wuppertal. „Ich inszeniere keine Stücke, die geschrieben sind.“ Anne Hirth hat klare Prinzipien. „Ich bin ein Freund des Unklaren“, sagt sie. „Ich lasse die Dinge gerne in der Schwebe.“ In der Schwebebahnstadt Wuppertal könnte dieser Ansatz nahe liegend sein. Ob er tatsächlich Früchte trägt, zeigt sich am 24. September — wenn die Regisseurin im Kleinen Schauspielhaus Uraufführung feiert.

„Rost“ heißt das Projekt, das die Schauspiel-Saison an der Kluse eröffnet. Für die Wuppertaler Bühnen ist es ein Experiment, denn die Arbeitsweise der Regisseurin ist für Stadttheater-Verhältnisse denkbar ungewöhnlich. Hirth setzt nicht auf eine durchgängige, feste Textvorlage, sondern sieht die Zusammenarbeit mit Schauspielern als großes Puzzle: „Zu Beginn der Proben weiß ich nie, was entsteht.“ Das ist sicherlich spannend, für ein Ensemble jenseits des Tanzsaals aber auch ungewohnt. Dass potenzielle Partner zögerten, sich auf den Puzzle-Prozess einzulassen, kann die Regisseurin sogar verstehen.

Schauspiel-Intendant Christian von Treskow hatte eine Arbeit der 37-Jährigen gesehen und sie prompt für das eigene Theater engagiert. Bevor es in den Probensaal gehen sollte, stellte sich die „Neue“ erst einmal schriftlich vor. „Ich habe einen Brief an die Ensemblemitglieder geschrieben und gefragt, wer mitmachen möchte“, erklärt Hirth. Die Resonanz war ernüchternd. „Ich kann das aber nachvollziehen. Es ist schon etwas anderes, eine feste, vorgegebene Rolle zu spielen.“

Bei Hirth hingegen geht es weniger um Figuren als um ein Thema, dem sich die Regisseurin zusammen mit drei Schauspielern und einem Musiker nähert. Dabei möchte die Tanz-Begeisterte den Blick auf den Umgang mit Archivalien lenken — das Wort „Rost“ steht für Verfall und Tod, gleichzeitig aber auch für „das Sammeln gegen die Endlichkeit“.

So entsteht — wie im Tanztheater von Pina Bausch — eine Collage. „Ich arbeite viel mit Tänzern zusammen, möchte Bilder anstoßen und stelle auch hier in Wuppertal assoziative Aufgaben“, sagt Hirth. „Ich bin mir sicher, dass die, die sich am Ende gemeldet haben, richtig neugierig sind. Wir probieren jedenfalls viel aus.“

In der Tat: An Kuohn und Juliane Pempelfort sind während der Probe konzentriert bei der Sache und tasten sich buchstäblich an das Thema heran. Die Ensemble-Schauspieler erhalten Verstärkung von Gast-Kollegin Silvia Munzon Lopez und dem Musiker Ralf Haarmann. Zu vier tragen sie Pappkartons über die Bühne — ein symbolischer Akt, den jeder, der selbst schon einmal das eigene Hab und Gut gepackt hat, vom privaten Umzug kennt, der im öffentlichen Raum jedoch eine ganz neue Bedeutung erhalten soll. Es geht um das Aufräumen im kleinen wie großen Stil: Was landet im Mülleimer, was gehört zum Leben unverzichtbar dazu?

„Eigentlich ist es absurd“, betont Hirth. „Wir verwenden so viel Zeit darauf, alles Mögliche zu bewahren — während die Welt gerade kollabiert.“ So hat die „Freundin des Unklaren“ am Ende eine ganz klare Vorstellung von dem, was sie in Wuppertal erreichen möchte. Sie will vor allem eines: auch dem Publikum Fragen stellen. „Was möchten wir aufheben? Und was ist überhaupt wert, bewahrt zu werden?“