Seemannsgarn für Opern-Sprinter
„Der fliegende Holländer“ nimmt Kurs auf Barmen — unter der Regie von Jakob Peters-Messer, der auf pausenlose Magie setzt.
Herr Peters-Messer, mit „Unverhofft in Kairo“ haben Sie in Wuppertal eine höchst selten gespielte Oper wiederentdeckt. Nun sorgen Sie dafür, dass „Der fliegende Holländer“ Barmen erreicht. Im Gegensatz zu Ihrer Kairo-Reise in der vergangenen Spielzeit ist die Wagner-Oper ein äußerst bekanntes Werk. Das Publikum wird entsprechende Erwartungen haben. Worin soll sich Ihre Version von anderen „Holländer“-Abenden unterscheiden?
Jakob Peters-Messer: Bei einer Wagner-Inszenierung kann man es eigentlich nie ganz richtig machen. Zu groß sind die Erwartungshaltungen der Zuschauer, aber auch die Interpretationsmodelle, die alle irgendwie schon durchgespielt wurden. Für mich war die „Holländer“-Inszenierung von Harry Kupfer, der die Geschichte als Traum und Einbildung Sentas erzählt hat, ein Schlüsselerlebnis. Diese Aufführung konnte ich in Bayreuth als Schüler sehen und deshalb habe ich mich für den Beruf entschieden, den ich jetzt ausübe. Also ist die eigene Inszenierung eines solchen Werks immer auch die Loslösung von frühen Prägungen. Und das ist gar nicht so einfach . . .
Gibt es Parallelen zu „Unverhofft in Kairo“? Werden die Zuschauer vertraute (Regie-)Elemente wiedererkennen können, oder soll sich die aktuelle Produktion von der vorausgegangenen bewusst abgrenzen?
Peters-Messer: Bei „Kairo“ mussten wir das Stück in gewisser Weise erst erfinden und zusammenbauen. Wir haben mit verschiedenen Texten und Sprachebenen gearbeitet und so ist aus der Haydn-Vorlage etwas Neues entstanden. Das Gegenteil ist „Der fliegende Holländer“. Es ist ein Stück wie aus einem Guss, ein großer Wurf. Man spürt in jedem Moment den Ausdrucks- und Formwillen eines jungen Komponisten. Größere Kontraste kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Deshalb wollte ich auch einen Kontrast in der Gestaltung und habe die Raumkonzeption mit einem Licht-Designer erarbeitet und nicht mit einem klassischen Bühnenbildner wie bei „Kairo“.
Hinter der Sage vom fliegenden Holländer steckt die Legende von einem verfluchten Kapitän und seinem geisterhaften Segelschiff. Was reizt Sie an diesem Seemannsgarn?
Peters-Messer: Das Interessante an der Geschichte ist das Überschreiten von Grenzen. Zwei Menschen treffen aufeinander, die aus ihrer Welt ausbrechen wollen — sei es aus den Grenzen der eigenen Bestimmung oder aus der ganz konkreten Enge von Familie und sozialem Umfeld. So ist es beim Holländer und bei Senta, die beide auf ihre Weise Außenseiter sind. Deren Geschichte wird als romantische Ballade erzählt. Das Jenseitige, das Unwirkliche bricht ein in die Wirklichkeit und verunsichert — es ist eigentlich das, was man heute Fantasy nennen würde. Nicht umsonst spinnt sich die Legende vom fliegenden Holländer weiter bis zum Film „Pirates of the Carribean“, in dem ja auch untote Kapitäne ihr Unwesen treiben.
Welchen Schwerpunkt hat Ihre Inszenierung?
Peters-Messer: Mir war wichtig, ein Gespür für das Entstehen von magischen Momenten zu entwickeln. Das Geheimnisvolle, das Unwirkliche, das Unsichtbare spielt atmosphärisch eine große Rolle. Trotzdem erzählen wir eine nachvollziehbare Geschichte. Senta ist keine Verrückte. Fantasie ist für sie der einzige Ausweg aus der Enge einer kleingeistigen, biedermeierlich eingezäunten Umwelt, so wie sie Wagner wohl auch selbst empfunden hat. Deshalb zeigen wir die Figuren als Menschen der 1840er Jahre. Das Romantische ist in dieser Zeit auch ein gesellschaftliches Statement und erschöpft sich nicht in der Verbreitung von wohligem Grusel.
Wie empfinden Sie die Musik?
Peters-Messer: Wagners Musik lässt — so glaube ich — niemanden wirklich kalt. Bei ihm ist alles groß. Es geht ihm immer um ganz viel und in erster Linie um ihn selbst. Insofern kann man die Figur des Holländers durchaus als Selbstporträt verstehen. Das kann nerven, ist aber auch das Faszinosum und der Erfolg dieses Komponisten. Dazu kommt, dass man beim „Holländer“ einem noch sehr jungen Künstler zuschaut und zuhört, wie er sich und seinen Stil findet. Man wird Zeuge eines kreativen Prozesses. Da explodiert etwas. Sturm und Drang durchziehen die Musik von der ersten bis zu letzten Note.
Welche Szene ist aus Ihrer Sicht die spannendste, berührendste, wichtigste?
Peters-Messer: Vielleicht doch Sentas Ballade im zweiten Akt. Das ist keine gruselige Gespensterballade, sondern unmittelbare Vergegenwärtigung. Die Erzählerin wird quasi absorbiert oder durchlässig für das Erzählte. Das Meer, der Sturm, das Schiff, der düstere Kapitän werden auf magische Weise wirklich — und die Zuhörer hineingezogen in den Sog der Geschichte. Hier wünscht sich jemand etwas so sehr, dass es wirklich wird. Die Vorstellungskraft ist so groß, dass das Unsichtbare sichtbar und ein Phantom lebendig wird und plötzlich vor ihr steht.
Haben Sie Kürzungen vorgenommen?
Peters-Messer: Wagner hatte die Oper ursprünglich als „dramatische Ballade“ konzipiert, die ohne Unterbrechung abläuft. Und diese pausenlose Version, die nicht länger als gute zwei Stunden dauert, spielen wir hier in Wuppertal. Da das für Wagner-Verhältnisse eher ein Sprint ist, erübrigen sich Kürzungen.
Wie wird die Bühne aussehen?
Peters-Messer: Mir war diesmal wichtig, das Stück ganz aus sich heraus zu entwickeln und quasi aus dem Nichts entstehen zu lassen — als eine Art einfaches und doch suggestives Raum-Theater. Unsere Bühne ist leer und schwarz. Die Magie macht das Licht. Es gibt Lichtobjekte wie das gigantische Segel des Holländerschiffs, das aus dem Dunkel auftaucht und verschwindet, oder das Bild des Holländers, das nicht mehr ist als ein leeres Lichtfeld, das Senta mit ihrer Fantasie füllt. Ansonsten wird die Geschichte mit den Mitteln der Bühne erzählt. Der Bühnenboden wird zu Schiffsplanken, ein Seilzug zum Tau, das Theater zum Ort für Imagination. Den Rest überlassen wir dem Publikum.
Hören Sie zu Hause auch Opernmusik, oder gibt es nach Feierabend gar ein Kontrastprogramm?
Peters-Messer: Eigentlich höre ich Musik nur noch auf langen Strecken im Auto. So lerne ich Stücke kennen oder bereite mich auf dem Weg ins Theater vor. So begleitet mich während der Proben jeden Morgen und Abend Richard Wagners Musik auf der B 7 zwischen Barmen und Elberfeld und weiter nach Vohwinkel.