Lesung Joachim Król macht Albert Camus zum einmaligen Erlebnis
Lesung nach dem Roman „Der erste Mensch“ brachte ganz großes Theater ins Opernhaus.
Es ist eine musikalisch untermalte Lesung - formal gesehen. Und doch ist es viel mehr. „Ganz großes Theater“ nennt es ein strahlender Martin Mühleis nach der Vorstellung. Er hat Albert Camus’ Werk „Der erste Mensch“ für die Bühne adaptiert. Joachim Król hat sie zum Leben erweckt. Was wörtlich zu verstehen ist. Er entführte die Wuppertaler im Opernhaus in die faszinierende Welt des berühmten französischen Schriftstellers. So kann es gehen, wenn große Literatur und große Schauspielkunst aufeinander treffen.
Es braucht nicht viel Drumherum, ein paar angedeutete Palmen, die Silhouette von Hochhäusern, die an die Bühnenrückwand projiziert werden, gezielten Einsatz des Lichtes. Davor das Halbrund aus den fünf Musikern des l’Orchester du Soleil um Król, der auf einem Barhocker sitzt, nicht ein einziges Mal wirklich aufsteht. Und doch tanzt, schwebt, Arme und Beine schwingt, in alle Himmelsrichtungen purzeln lässt, unsichtbare Protagonisten um sich schart. Er kriecht förmlich in das Buch, das vor ihm auf einem Ständer liegt. Seine Stimme singt, flüstert, krächzt, poltert, ist immer wieder ein anderer, zieht das bis auf den letzten Platz gefüllte Zuschauerrund der Oper magisch und unwiderstehlich in die Welt des jungen Jacques Cormery (alias Albert Camus). Dazu erklingt eine Mischung aus arabischer und französischer Volksmusik, die Maria Reiter (Akkordeon), Samir Mansour (Oud), Ekkehard Rössle (Klarinette und Saxofon); Jerome Goldschmidt (Percussion) sowie Christoph Dangelmeier (Komposition und Bass) sensibel ihren Instrumenten entlocken. Sie breiten einen lautmalerischen Klangteppich aus, der in die französische Kolonie Algerien entführt.
Albert Camus, Jahrgang 1913, wächst in Algier in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater fällt 1914 im Krieg, die Mutter ist Analphabetin, leicht hör- und sprachbehindert, schweigsam, nah und doch fern. Die Großmutter ist umso resoluter, scheut auch den Ochsenziemer nicht, um ihre Prinzipien durchzusetzen. Camus entwächst dieser Welt, weil ihn der Volksschullehrer fördert, ans Gymnasium bringt, ihm eine neue Welt, die grenzenlose, berauschende Welt der Bildung, eröffnet.
Volksschullehrer eröffnet faszinierende Welt der Bildung
Er legt die Basis für den weltbekannten Schriftsteller, Moralisten und Philosophen Camus, der 1957 als zweitjüngster Nobelpreisträger für Literatur in die Geschichte eingeht (Tagesschaueinblendungen am Anfang und Ende der Aufführung erinnern daran). Dann, 1960, stirbt er mit 47 Jahren bei einem Autounfall. „Der erste Mensch“, das seine algerische Kindheit erzählt, war noch nicht erschienen, aber weit mehr als ein Fragment. Die Familie hielt es lange zurück, bis Tochter Cathérine sich – nach dem Tod der Mutter – 1994 zur Veröffentlichung entschied. Und in der Welt der Literatur Begeisterung auslöste, weil sie posthum einen sehr persönlichen, emotionalen und bildhaften Camus kennenlernen durfte.
Zum 25. und vorerst letzten Mal in diesem Jahr haben der in Herne geborene Schauspieler Król - der selbst weiß, was es bedeutet, wenn ein Lehrer einem Kind aus armen Verhältnissen die Welt der Bildung eröffnet - und sein Team mit ihrem wilden und atmosphärisch dichten Abenteuerausflug in die Welt des Lernens die Menschen fasziniert und zutiefst bewegt. Sie wurden auch in Wuppertal heftig gefeiert. So kann es gehen, wenn große große Literatur und große Schauspielkunst aufeinander treffen.