Kunst ist überall Kraftprotz mit Skandalgeschichte

Die Stadt musste auf Alfred Hrdlickas „Starke Linke“ fünf Jahre warten und sein Honorar massiv aufstocken.

Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Diese Skulptur hat kein Hinten und kein Vorn und strotzt vor Kraft und Fleisch: Alfred Hrdlickas Engels-Denkmal mit dem Titel „Die starke Linke“ ist ein gewaltiges Stück Kunst.

Aus einem einzigen riesigen Marmorblock sind Fragmente überlebensgroßer männlicher Körper herausgemeißelt. Muskulöse Arme und Beine sind ineinander verschlungen und wehren sich gegen Handschellen und Ketten. Drei Leiber lassen sich ausmachen, Köpfe spielen keine Rolle.

Das Denkmal gipfelt in geballten Fäusten — ein Zitat des alten Kampfgrußes aus der Arbeiterbewegung, erklärt Carmen Klement, Kunsthistorikerin im Von der Heydt-Museum.

Geplant war natürlich etwas ganz anderes. 1975 stellt die Stadt fest, dass sie noch 130 000 Mark übrig hatte (selige Zeiten!). Damit diese nicht aus haushaltsrechtlichen Gründen verfielen, sollte eine Skulptur zur „Verschönerung der Stadtlandschaft“ her. 1976 wählte man den Standort vor dem Engelshaus aus — also musste die Arbeit auch etwas mit diesem berühmten Sohn Barmens, neben Karl Marx zweiter Stammvater des Kommunismus, zu tun haben.

Das kam schon nicht besonders gut an im „Muckertal“ (Friedrich Engels über seine Heimat). Johannes Rau, damals Ministerpräsident und vormals Oberbürgermeister, wollte Befürchtungen zerstreuen, Wuppertal könne ein „Mekka der Linksradikalen“ werden: Die Skulptur sei doch ein „Anstoß, über die unbeantworteten Fragen von Marx und Engels“ nachzudenken.

Stadtvertreter wählten den Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka (1928 — 2009) für die Auftragsarbeit aus. Der stellte ein riesiges aufgeschlagenes Buch aus Marmor in Aussicht, aus dem Brüder zur Sonne herausschreiten sollten. Ende 1976 sollte das Werk fertig sein.

Doch erst gab es Probleme bei der Beschaffung des Marmorblocks aus Carrara. Dann überfielen den Künstler neue Ideen: Er wollte nun einen „explodierenden Knödel von Leibern“ darstellen, die — das kommunistische Manifest lässt grüßen — nichts zu verlieren haben außer ihren Ketten. Das teilte er aber nicht den Wuppertalern mit, sondern verlautbarte es im Oktober 1977 im „Spiegel“.

Die Stadtoberen waren ratlos, von Hrdlicka hörte man nichts mehr, außer dass er gelegentlich cholerische Ausbrüche hatte. Auch andere Städte machten mittlerweile die Erfahrung, wie lässig sich der Wiener Bildhauer von den Ketten seiner Verträge befreite.

Im Sommer 1980 tauchte in Wuppertal plötzlich die Frage auf, wer denn den ein Meter hohen Granitsockel bezahlt. Hrdlicka rechnete ihn zum Fundament und die Stadt zur Skulptur. Und wer übernimmt den Transport des acht Tonnen schweren Denkmals? Die Stadt fühlte sich durch den Vertrag mit dem Künstler auf der sicheren Seite, in dem dies alles mit den 130 000 Mark abgegolten sein sollte. Doch der reagierte erbost.

In einem Interview forderte er 70 000 Mark Zusatzhonorar „für drei Jahre Knochenarbeit“ — sonst würde er einen unbehauenen Marmorblock liefern. Im Oktober 1980 verlangte er schon 300 000 Mark: „Nicht ums Verrecken“ wollte er — „theoretisch, natürlich, bin ich im Unrecht“ — seine Plastik hergeben „für ein Geld, das sie dem Beuys für seine ruinierte Badewanne haben zahlen müssen“.

Die Aufregung war gewaltig, zugleich fühlte man einen gewissen Handlungsdruck: Offenbar musste man sich rasch entscheiden, bevor Hrdlicka noch eine Schüppe drauflegte. Im Februar 1981 beschloss der Rat allein mit den Stimmen der SPD, dass Hrdlicka 300 000 Mark bekommen sollte, zahlbar in drei Jahresraten. Die Kosten für Sockel, Transport und Aufstellung übernahm die Stadt zusätzlich.

Fünf Jahre nach Auftragsvergabe wurde das Denkmal am 2. Juli 1981 aufgestellt. Die CDU blieb der Veranstaltung fern, verteilte stattdessen Protest-Flugblätter.

Ungeachtet der skandalträchtigen Vorgeschichte hat Hrdlicka ein großartiges kraftvolles Kunstwerk geschaffen. Nur richtig geliebt wird es in Wuppertal nicht.