Liebe, Macht und Betäubung: „Welches Leben passt zu mir?“

Schauspieler Heisam Abbas spricht über seine aktuellen Rollen.

Herr Abbas, während einer Vorstellung des Stücks „Wohnen. Unter Glas“ ist jüngst eine Zuschauerin aufgestanden und hat sich neben Sie gesetzt. Was haben Sie gedacht?

Heisam Abbas: Nun, ich habe die Dame ja aus der Spielsituation heraus eingeladen, zu mir zu kommen. Max, die Rolle, die ich in „Wohnen. Unter Glas“ spiele, kann sich Jeani und Babsi, den beiden Frauen aus seiner Vergangenheit, die ihm im Stück wieder begegnen, nicht öffnen. Umso emotionaler vertraut er sich dem Publikum in seinen Monologen an. Der Moment, in dem er seine Hände nach jemandem im Publikum ausstreckt, ist ein Moment großer Einsamkeit. Max, der noch nie eine wirkliche Liebesbeziehung hatte, wünscht sich wenigstens manchmal jemanden, mit dem er so tun kann, als sei er glücklich. Dass sich in diesem Moment die Frau, die ich angespielt habe, auch tatsächlich erhob und sich zu mir auf die Bühnenkante gesetzt hat, war schon sehr besonders. Noch dazu hat sie wirklich wunderbar mitgespielt. Ich habe mich darüber sehr gefreut. So bekam die Szene plötzlich eine ganz neue Färbung.

„Wohnen. Unter Glas“ ist das Psychogramm einer ganzen Generation. Können Sie sich darin persönlich wiederfinden?

Abbas: Der Autor — Ewald Palmetshofer — beschreibt in „Wohnen. Unter Glas“ ein Lebensgefühl, mit dem sich, glaube ich, viele Menschen identifizieren können. Diesen Eindruck hatte ich auch beim Publikumsgespräch nach einer Vorstellung im Februar. Es geht um die Frage „Welches Leben passt zu mir?“, um Entscheidungsschwäche angesichts unüberschaubarer Möglichkeiten, um Entfremdung von sich und seinen Mitmenschen, zwanghaftes Leistungsdenken und Betäubung durch Konsum. Palmetshofer zeigt die Einsamkeit seiner drei Protagonisten, die ihr Handeln zur Folge hat. Die Gedanken, mit denen Max sich trägt, sind mir dabei alle nicht fremd — auch wenn ich für mich persönlich andere Schlüsse ziehe.

In Ibsens Drama „Nora oder Ein Puppenheim“ spielen Sie den sterbenskranken Dr. Rank, der den Schatten des Todes über das gesamte Geschehen wirft. Für wie aktuell halten Sie Ibsens Spiel um Ehevorstellungen, Liebesverfall und Machtstrukturen?

Abbas: Liebe und Macht — diese Themen gehören ja zu unser aller Leben und sind also immer aktuell. Auch wenn sich unser Leben heute vom Leben in Norwegen Ende des 19. Jahrhunderts unterscheidet: Die Fragen um Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Beziehung — wie auch in der Gesellschaft — beschäftigen uns nach wie vor. Wäre das nicht so, gäbe es auch keine Sexismusdebatte. Noras Entscheidung, aus der Enge ihrer Ehe mit Torvald auszubrechen und dafür auch die gemeinsamen Kinder hinter sich zu lassen, ist natürlich sehr kontrovers, aber genau das regt ja zu einer spannenden Auseinandersetzung mit anderen und sich selbst an. Ich kann also alle Interessierten nur herzlich zu uns ins Schauspielhaus einladen — solange es uns noch erlaubt ist, diesen einzigartigen Ort zu bespielen.