Wuppertaler Kultur Literatentreffen: Vorlesen in wertschätzender Runde
Bald 20 Jahre gibt es die Gruppe, die aus einem Büchercafé am Ölberg hervorging.
Hinterher, wenn sich Zufriedenheit und ein unbeschreibliches Glücksgefühl einstellen, ist es am schönsten. Vorher ist es wie ein Drang, sagen Regine Radermacher und Martina Sprenger übereinstimmend. Die beiden Frauen eint das große Interesse an der Literatur. Beide sind Autorinnen, haben Bücher veröffentlicht. Und beide machen beim Literatentreffen mit, das bald 20 Jahre alt wird, regelmäßige, in der Regel eintrittsfreie Lesungen organisiert. Wobei es konstruktiv kritisch, vor allem aber wertschätzend zugeht.
Im Jahr 2000 eröffnete Ulla Brouwer ein Büchercafé auf dem Ölberg. Mit gebrauchten Büchern und einem Literatentreffen einmal im Monat. Als Moderator gewann sie Ulrich Spieß. 2001 stieß Regine Radermacher dazu, eine Freundin hatte ihr geraten, ihre Gedichte und Kurzgeschichten nicht mehr nur im privaten Umfeld vorzulesen. Als sie nun erlebte, wie eine ältere Dame souverän ein Gedicht vortrug, war sie beeindruckt. „Donnerwetter, hier bin ich richtig“, sei ihr damals durch den Kopf geschossen, erinnert sie sich. Hemmungen hatte sie weniger, wusste sie doch, dass sich das Literatentreffen nicht als Schreibwerkstatt verstand, vielmehr den respektvollen Umgang pflegte. Im Gespräch den literarischen oder gesellschaftspolitischen Hintergründen der Texte nachspürte, Tipps austauschte. Man versteht sich als Autorengremium, das in freundlicher Atmosphäre gemeinsame Ziele und Projekte verfolgt. Sprenger: „Wir versuchen uns gegenseitig zu unterstützen, sagen, was wir gut finden, was weniger gelungen ist, und was man ändern kann.“ Kritik sei willkommen, ergänzt Radermacher, denn: „Man will ja bei neuen Texten wissen,wie sie aufgenommen werden.“
Ein personeller
Neustart
Nachdem Ulla Brouwer das Buchcafé aufgelöst und sowohl sie als auch Ulrich Spieß das Literatentreffen verlassen hatten, gab es 2013 so etwas wie einen personellen Neustart. Matthias Rürup übernahm die organisatorische Verantwortung. 24 Literaturinteressierte zwischen 40 und 80 Jahren sind heute aktiv, allesamt schreiben selbst, Genre-Begrenzungen gibt es nicht. Weshalb vor allem Frauen mitmachen, ist nicht ergründet, könnte aber damit zusammenhängen, dass diese vor allem den Wunsch haben, etwas zusammen zu tun, sich auszutauschen, während Männer eher Einzelkämpfer seien, mutmaßt Sprenger.
Der harte Kern trifft sich nach wie vor einmal im Monat - nach mehreren Umzügen aktuell im Lutherstift, um vorzulesen (wer kommt, muss auch einen Text vorlesen), immer mehr aber auch, um Organisatorisches abzuarbeiten. Außerdem veranstaltet das Literatentreffen am letzten Donnerstag eines Monats, von 19 bis 21 Uhr, im Café Ada Lesungen mit Zuhörerschaft und manchmal auch mit Musikprogramm.
Radiosendungen
im Bürgerfunk
Hinzu kommt seit 2013 als eine Art Jahresabschluss eine Matineelesung in der Börse an einem Sonntagmorgen im November. Im drei- bis vier Monatsrhythmus gestalten die Literaturbewegten seit 2016 Radiosendungen im Bürgerfunk. Schließlich betätigen sie sich als Herausgeber. Auf eine Anthologie (2005) folgten zwei Bücher mit eigenen Texten (2015 und 2017). Das 20-Jährige könnte Anlass für die nächste Anthologie sein. Zuvor will man aber noch eine Hörbuch-CD produzieren. Die meisten geben überdies Lesungen allein oder in kleinen Grüppchen, im Grünen Zoo, in Düsseldorf oder anderswo. Im Mai steht eine Lesung in der Stadtteilbibliothek Ronsdorf an.
Die Autorinnen schätzen Wuppertals reiche Autorenszene, darunter gebe es ja auch viele Hochkaräter, kennen aber auch die Schattenseiten, die schwierige Suche nach einem Verlag. Nur drei Prozent der Autoren, schätzt Sprenger, könnten von ihren Büchern leben. Bei den anderen bleibe es eben Hobby neben dem Beruf.
Radermacher arbeitete als Pflegerin, bevor sie sich nun mit 68 Jahren auf ihre schriftstellerische Arbeit konzentrieren kann. Die 55-jährige Sprenger schreibt Kurzkrimis, arbeitet als Lektorin. Um die Zukunft der Literatur machen sich beide aber keine Sorgen. Dank vieler Projekte in den Schulen werde genug Lesenachwuchs nachgebildet, ob der dann analog und haptisch oder digital liest, das stehe auf einem ganz anderen Blatt.