Nackte Körper, prüde Anfänge und bizarre Foto-Experimente

Interview: Beate Eickhoff nimmt Stellung zur Aktfotografie im Kunstmuseum.

Frau Eickhoff, so geballt wie derzeit waren vermutlich noch nie nackte Körper im Von der Heydt-Museum zu sehen. Was soll die Schau "Nude Visions" zeigen?

Beate Eickhoff: Die Aktfotografie ist ein Genre - wie die Landschaftsmalerei oder das Porträt auch. Es geht um die genaue Beobachtung der Realität, es geht um künstlerische, ästhetische Ideale, es geht aber auch um den Umgang mit dem menschlichen Körper in der Kunst. Ein Bogen wird gespannt - von der nüchternen Ateliersituation über die poetische Seite bis hin zu den exzentrischen Attraktionen von heute.

Eickhoff: Die Videoarbeit von Harun Farocki dokumentiert die Entstehung eines Playboy-Titelbildes. Sie macht deutlich, wie die Arbeit an einem solchen Foto ist und wie viel Technik dahinter steckt. Wenn man Pornografisches erwartet, dann ist da erkennbar, wie nüchtern und wenig erotisch die Aktfotografie in der Herstellung ist.

Eickhoff: Um den künstlerischen Anspruch noch deutlicher zu zeigen. Der nackte Körper spielt in der Kunst eine Rolle, seit sie existiert, in Malerei und Skulptur. Nicht nur Schönheitsideale, sondern das, was der Künstler will, was er Neues will, lässt sich an diesem Motiv ablesen.

Eickhoff: Gerhard Riebeckes Aufnahme von Ausdruckstänzern. Sie entstand um 1930 und zeigt ein Paar. Es geht eben nicht darum, dass sich Männer einfach nur schöne Frauenkörper oder Frauen schöne Männer ansehen. Es geht um die Zeitlosigkeit des Schönheitsideals - und um eine sehr archaische Fröhlichkeit.

Eickhoff: Ja, das stimmt. Marées wollte den Bürgersmann bestimmt nicht verscheuchen, sondern ihm schwebte das zeitlose Schönheitsideal vor. Die Reaktion auf seine Männerfiguren vor 100 Jahren waren weniger bezeichnend für das Kunstverständnis der damaligen Gesellschaft als vielmehr für deren Verhältnis zum nackten Körper. Die Bilder hätten einige Vorstandsmitglieder des Kunst- und Museumsvereins damals am liebsten verboten, weil sie angeblich sittenwidrig waren. Sie hätten den Jünglingen wenigstens ein Papiertüchlein vorgeklebt. Im Endeffekt hat man es gelassen und das "gemeine Volk" hat sich überhaupt nicht aufgeregt.

Eickhoff: Heute kann man sich im Internet so vieles ansehen und gleichzeitig durch die digitale Fotografie viel manipulieren. Es gibt einen neuartigen Exhibitionismus, mit dem man sich auseinandersetzen muss - was wir mit unserer Ausstellung ja auch ermöglichen. Außerdem wollen wir den Wandel von Schönheitsidealen, auch von Moralvorstellungen dokumentieren.

Eickhoff: Wir zeigen die Entwicklung der Aktfotografie von den prüden Anfängen bis zu schockierenden Experimenten. Die ersten Aktfotos waren Vorlagen, nach denen Maler malten. In den 20er Jahren kommt der Glamour dazu - und ein neues Selbstbewusstsein der Frau. Einen großen Umschwung gibt es dann noch einmal in den 60ern: Künstler ziehen sich demonstrativ aus. Alles wird freier, aber auch intellektueller. Das ist weniger Aktfotografie als Body Art und Performance. In der aktuellen Kunst sind die Grenzen quasi gefallen.

Eickhoff: Kunst unterscheidet sich von Pornografie durch ihren ästhetischen Anspruch: Frühe Aktfotografien sprechen den Geist eher an als die Sinne. Körperliches Verlangen und Attraktivität werden überhöht. In den 60er Jahren geht es dann oft weniger um ein Schönheitsideal als vielmehr um einen Bruch mit herkömmlichen Vorstellungen, ob nun ästhetisch, kulturell, moralisch motiviert. Nicht das Bild vom Körper, sondern der Körper an sich wird eingesetzt. Heute ist es das Spezielle, Exzentrische, Bizarre, das die Auseinandersetzung mit dem Fremden beflügelt, weniger die Begierde. Die Auseinandersetzung ist im Museum gefragt. Wer Pornos gucken will, kauft sich besser entsprechende Hefte.

Eickhoff: Kinder und Jugendliche, die ins Museum gehen, kommen in der Regel mit Begleitung. An der Kasse wird darauf hingewiesen, dass Eltern oder Lehrer jugendliche Besucher zu begleiten haben. Ich glaube auch, dass man, wenn man "Zutritt erst ab 18" verfügt, falsche Erwartungen schürt.

Eickhoff: Mich wundert es, dass sie nicht besser besucht ist. Eine Rolle spielt sicherlich die Jahreszeit, in der ganz allgemein weniger Gäste Museen besuchen. Ein Problem ist aber auch die Baustelle direkt vor der Tür. Passanten fragen sich: Hat das Museum überhaupt geöffnet? Und darf man überhaupt durch die Baustelle zum Eingang gehen? Man darf!

Eickhoff: Ein Anrufer wollte wissen, ob man auch nackt durch die Ausstellung gehen dürfe. Und es gab einen Besucher, der sich mehr erhofft hatte und sich beschwerte, nicht auf seine Kosten gekommen zu sein. Insgesamt betrachtet gab es aber keine gehäufte Kritik. Ich finde auch nichts Anstößiges dabei. Viele Fotos sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen und dadurch abstrahiert. Abgesehen davon kann man in der Ausstellung sehen, wie andere mit ihrem Körper umgehen. Das kann auch befreiend sein.