Neuanfang an den Wuppertaler Bühnen (6): Holger Kraft und das Spardiktat
Der Schauspieler pendelt zwischen Hessen und Wuppertal. Privat ist er eine Frohnatur, beruflich erlebt er ein Drama: Die drohende Schauspielhaus-Schließung prägt seinen Start.
Die Begrüßung hätte auch anders ausfallen können. Kaum war Holger Kraft in seinem neuen Theaterleben angekommen, wurde es auch schon von heftigen Turbulenzen erschüttert. Als die Stadt ihre Sparliste vorlegte, war das wie ein Schlag ins Gesicht: Seit laut wurde, dass das Schauspielhaus geschlossen werden soll, ist es vorbei mit der leisen Hoffnung des 38-Jährigen, in seiner neuen Heimat (nur) mit Applaus begrüßt zu werden.
Das neue Ensemblemitglied ist, gelinde gesagt, überrascht. Noch mehr als über die inhaltliche Botschaft staunt Kraft über die Reaktionen darauf. "Ich bekomme Anrufe aus der ganzen Republik - aus Theatern, von Kollegen und Freunden. Alle fragen, wie sie helfen können. Nur in Wuppertal gibt es keinen deutlich vernehmbaren Aufschrei", stellt der Schauspieler mit Bedauern fest. "Das ist natürlich auch psychologisch kein schönes Signal. Wenn man hört, dass das Theater, an dem man gerade angefangen hat, zumachen soll, fragt man sich schon: Bin ich hier überhaupt wirklich erwünscht?"
Dass "die Konzentration und die Kräfte, die man für Proben und Aufführungen braucht, dadurch weggezogen werden", ist die eine Sache - die rein persönliche. Abgesehen von der eigenen Gefühlslage gibt es aber noch die allgemeine Tragweite der Spardiskussion: "Ein Theater zu schließen, ist das Dümmste, das man machen kann", sagt der Schauspieler. "Was einmal weg ist, bleibt weg. Wir müssen Kultur, Bildung und Tradition erhalten - für unsere Kinder."
Dabei denkt Kraft nicht nur an die eigene Tochter. Die Sechsjährige heißt Leandra, wird aber Leni genannt, wächst zweisprachig auf, weil ihre Mutter Jacinda Frankokanadierin ist, und hat sicherlich viel Spaß mit ihrem Vater. Locker wirkt er, offen und fröhlich. Kraft ist ja auch keiner, der zum Lachen in den Keller geht. Ihn zieht es lieber ganz woanders hin: ins Fußballstadion.
Wobei der Spaß aufhört, wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht. Das Wuppertaler Stadion findet der Neu-Elberfelder zwar "wunderschön", aber mit den Kickern seiner Wahlheimat hat er noch nicht live mitgefiebert, wie er mit ernster Stimme und doch auch augenzwinkernd erklärt. "Vielleicht gehe ich ja doch mal zu einem Spiel..."
Das dürfte dem Pendler dann allerdings nicht ganz leicht fallen. Denn das Herz des gebürtigen Rüsselsheimers schlägt nach wie vor für das Rhein-Main-Gebiet, in dem seine Familie lebt. Schon aus Prinzip gilt: "Ich habe immer noch eine Dauerkarte für Eintracht Frankfurt - auch wenn ich nicht mehr hingehen kann."
Seine Zeit im Tal ist schließlich bestens verplant. Die Frohnatur mischt in einem Weltverschwörungsdrama mit ("Eine Billion Dollar"), mimt einen Zuhälter ("Im Dickicht der Städte") und bekommt es demnächst auch auf der Bühne mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn in einem ICE zu tun: Wenn "Ich Tasche" am 2. Januar um 20 Uhr Premiere im Kleinen Schauspielhaus hat, übernimmt Kraft mit drei Kollegen 20 verschiedene Rollen.
Wie kam er überhaupt auf das ganze Theater? "Ich wollte schon immer Schauspieler werden", betont er inbrünstig, führt aber leicht grinsend hinzu: "Ursprünglich wollte ich ja mal Veterinär werden - als mein Meerschweinchen verendet ist und ich ihm nicht helfen konnte."
Am Ende wurde Kraft kein Tierarzt, sondern Künstler - mit einer "typischen" Bühnenkarriere. Vom Schultheater ging’s erst in eine Laiengruppe, dann an die Schauspielschule nach Leipzig, von dort schließlich an renommierte Häuser in Jena und Stuttgart. Die Hälfte seiner ehemaligen Mitstreiter steht inzwischen nicht mehr im Rampenlicht: Viele seiner früheren Schauspielschul-Kollegen üben heute andere Berufe aus. "Es ist irrsinnig wichtig, in einen Zirkel zu geraten", sagt Kraft. "Nur das ernährt einen." Nicht Castings oder Vorsprechen seien letztendlich entscheidend - sondern persönliche Kontakte.
Christian von Treskow, Wuppertals neuen Schauspiel-Chef, kennt er schon seit vielen Jahren: "Seinem Ruf bin ich gerne gefolgt." Trotzdem (oder gerade deshalb) hätte er sich eine andere Begrüßung gewünscht...