Nora ganz nah: Ein Fest im Theater
„Nora oder Ein Puppenheim“ ist eine der derzeit beliebtesten und besten Inszenierungen der Bühnen. Juliane Pempelfort verrät, wie sie die (Haupt-)Rolle in Elberfeld erlebt.
Wuppertal. „Nora oder Ein Puppenheim“ ist schon von der Perspektive her ein besonderes Theatererlebnis. Im ersten Teil sitzen die Zuschauer auf Stühlen und Hockern im Schauspielhaus-Foyer — noch dichter kann man als Zuschauer wohl kaum am Geschehen sein. Das merkt man auch an den Reaktionen der Gäste, die sichtlich verblüfft sind, wenn Schauspielerin Juliane Pempelfort (Nora) und ihre Kollegen auch die Gänge bespielen, in manchen Momenten nur entfernt durch die Glasscheiben zu sehen sind oder, im Gegenteil, ganz nah vor den Augen des Publikums auftreten.
Die ungewöhnliche Nähe zu den Schauspielern wird vom Publikum immer wieder direkt kommentiert. Das reicht von ungläubigen Bemerkungen wie „Geht er jetzt raus, um zu rauchen?!“, wenn sich Hanno Friedrich (Noras Ehemann) mit einer Zigarette in den Innenhof des Schauspielhaues zurückzieht, bis zu geflüsterten Seitenhieben, wenn Friedrich den Fernseher einschaltet und eine Zuschauerin — wie jüngst mit Blick auf ihren eigenen Mann — prompt die Parallele zur Realität zieht: „Das ist wie bei uns. Du schaust Dir auch ständig die Börsenkurse an.“
Frau Pempelfort, wie empfinden Sie die spezielle Spiel-Situation?
Juliane Pempelfort: Den ersten Akt im Foyer zu spielen, ist eine ganz besondere Erfahrung. Als Schauspieler hat man durch diese Nicht-Bühnen-Situation nicht den „Schutz“ der Distanz. Das Spiel empfinde ich dadurch als unmittelbarer — für beide Seiten. Schließlich sitzen die Zuschauer direkt in „meinem“ Wohnzimmer und können sich der trügerischen Ehe-Idylle der Helmers nicht entziehen. Es ist ein beinahe fernsehrealistischer Effekt, den wir bewusst erzielen wollten. Und natürlich macht es einfach einen Riesenspaß, die endlosen Gänge zu bespielen, sich Zeit und Raum für Auftritte und Abgänge nehmen zu können und die vielen unterschiedlichen Perspektiven auszunutzen. Es ist ein Fest!
Bekommen Sie Reaktionen der Zuschauer mit? Oder sind Sie so in die Rolle vertieft, dass Sie alles andere ausblenden können?
Pempelfort: Das ist ja gerade das Schöne, dass man alles mitbekommt. Als irritierend empfinde ich das nicht, im Gegenteil. Die Vorstellung beginnt, die Ereignisse nehmen ihren Lauf und sind sowieso nicht aufzuhalten. Und wenn dann Reaktionen kommen, muss ich oft in mich hineingrinsen. Wenn aber jemand mal zur Toilette muss — wie neulich in einer Vorstellung — , dann lässt sich das nicht einfach ignorieren. Damit muss ich dann umgehen.
Ihre Nora ist nicht nur das willige „Singvögelchen“, das der Ehemann gerne hätte. Sie entwickelt sich vom Püppchen zu einer Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt und die entscheidenden Fäden zieht. Wie viel Spielraum haben Sie bei der Gestaltung? Wie viel gibt der Regisseur — in diesem Fall — Tilo Nest vor, und wie viel Nora kommt aus Ihnen selbst?
Pempelfort: Tilo Nest hat mir freie Hand gelassen. Ich hatte nie Interesse, ein Opfer äußerer Umstände und Verhältnisse zu zeigen, sondern eine Frau, die zu eigenständigem Denken und Handeln fähig ist. Dass Nora selbst dies erst so spät erkennt, kann sie sich nur selbst vorwerfen. Dass Nora in der Lage ist, mit allen Konsequenzen — einschließlich des Nichtwissens, wie es denn nun weitergeht — dorthin zu gelangen, zeigt ihre Stärke. Mich hat auch ihre Naivität sehr interessiert, das Pure, das Spielerische, das Unmittelbare.
Gibt es eine Szene, die Sie am liebsten spielen, die für Sie zentral ist oder die Sie selbst am meisten berührt?
Pempelfort: Ich unterteile nicht in Szenen. Der Abend beginnt und endet, alles dazwischen empfinde ich eher als einen atemlosen Lauf. Man wundert sich, wie man dahingekommen ist. Ich mag es, dass nach dem ersten Akt der Raum immer kleiner wird — bis man sich „bewegen“ muss.
In Wuppertal haben Sie in den vergangenen Jahren viele tragende Figuren gespielt. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welche Traumrolle steht auf Ihrer persönlichen Liste ganz oben?
Pempelfort: „Elektra“ von Hofmannsthal. Will ich unbedingt mal machen!
Das Kleine Schauspielhaus wird in wenigen Monaten geschlossen. Herrscht bereits Abschiedswehmut im Ensemble?
Pempelfort: Seit der Schließung der großen Bühne ist es ja ein Abschied auf Raten. Aber wir werden die verbleibende Zeit nutzen und noch einmal richtig feiern!