Wuppertal Palermo, Palermo: Tanztheater im Trümmerfeld der Welt
Das Tanztheater Pina Bausch führte das Stück nach 2016 erneut in der Oper auf.
Die Welt liegt in Trümmern. Doch während im Deutschland des Jahres 1989 die Menschen Mauern einreißen, um die Jahrzehnte der Trennung zu überwinden, legt eine umfallende Mauer bei Pina Bausch unterdrückte Emotionen und die Spannungen zwischen Arm und Reich bloß, und Menschen, die zueinander kommen wollen, scheitern meist. Schließlich spielt „Palermo Palermo“ in Italiens armem Süden. Am Wochenende brachte das Tanztheater das im Dezember 1989 uraufgeführte Stück erneut im Wuppertaler Opernhaus auf die Bühne - und wurde für seine Glanzleistung begeistert gefeiert.
Nur noch eine Handvoll Tänzer, die sich anstrengende gut zweieinhalb Stunden auf der mit Hohlsteinen und zunehmend auch Müll bedeckten Bühne abarbeiten, waren auch vor 30 Jahren dabei. Eine ist Julie Shanahan. Die Australierin ist eine zentrale Figur des Stücks, das in Kooperation mit dem Teatro Biondo Palermo entstand und Eindrücke verarbeitete, die man bei einem Aufenthalt des Ensembles vor Ort gesammelt hatte.
Eine Vorgehensweise, die Pina Bausch in den 80er Jahren begann, und die im Fall der zerfallenden, sizilianischen Hauptstadt bewusst die süditalienische, flirrende und stolze Atmosphäre einfängt. Mit einer bunten Musikauswahl, die einen orientalischen Schwerpunkt hat und in der Glockengeläut zum bedrohlichen Schlagen wird. Mit einer Beleuchtung, die Abenddämmerung genauso erzeugen kann wie gleißendes Sonnenlicht. Kulisse für den Überlebenskampf.
Der Wunsch nach Liebe
schlägt in Selbsthass um
Wenn Julie Shanahan Liebe einfordert, abwechselnd Scott Jennings und Fernando Suels Mendoza kommandiert, sie zu küssen, zu umarmen oder ihr Tomaten ins Gesicht zu werfen, und sie immer wieder zackig fortschickt, dann atmet das Verzweiflung, Würde und Ausweglosigkeit zugleich. Der Wunsch nach Liebe findet keine Befriedigung, schlägt in Selbsthass um. Weniger Bedrohung denn unterdrückte Aggressivität und Einsamkeit gehen von Shanahan aus, wenn sie mit Strumpfmaske über dem Kopf und Pistole in der Hand auf andere zielt ohne abzudrücken.
Die Menschen sind arm, ihr Versuch, das wenige, das sie haben, festzuhalten, scheitert. Das Wasser, das die zur Mulde geformte Hand auffangen will, verrinnt durch die Finger, das versprühte Parfüm verflüchtigt sich, ebenso der Rauch der Zigarette. Nazareth Panadero hält ein Bündel Spaghetti fest, verteidigt diese immer lauter und erregter als ihren Besitz „das sind meine Spaghetti, die sind alle meine“, zieht einzelne heraus und gibt ihnen ihren Namen. Kuriose Szenen, die zugleich komisch und poetisch sein können - das Leben weckt Angst und Lust.
Und so löst sich der Trauermarsch, den das Ensemble stolzen Schrittes absolviert, dabei Müll nach rechts und links verteilt, in rasches Davonlaufen auf. Die Menschen leben im Müll, aber sie behalten ihre Würde - das einzige, das ihnen nicht genommen wurde.
Das Ensemble schreitet untergehakt, Äpfel auf den Köpfen balancierend, pathetisch zur Rampe oder hüpft zu festlicher Dudelsackmusik im Sitzen von rechts nach links über die Bühne. Mehrere Frauenreihen bewegen sich im rhythmisch strengen Gruppentanz, an den Hüften fassend, auf das Publikum zu. Die typischen, immer wiederkehrenden, Bewegungsabläufe wollen oftmals nicht enden, werden um akrobatische Einschübe ergänzt.
Der Wortanteil in „Palermo Palermo“ ist hoch - auch am Schluss, der durch herab schwebende Kirchblütenbäume eingeläutet wird. Die überaus poetische Szene wird gleich zweifach gebrochen.
Bühnenarbeiter, die in diesem Stück immer wieder während des Geschehens offen die schweren Steine umsortieren, nehmen die Bäume in Empfang, und ein junger Mann (Oleg Stepanov) erzählt lächelnd dem Publikum das Märchen vom Fuchs und den Gänsen, die ihren sicheren Tod durch endlose Gnadengebete aufhalten. Das Leben als Hindernislauf, auf dem Angst, (Bewegungs-)Lust und Scheitern warten, geht weiter. Aber bitte mit einem Lächeln.