Tanztheater Pina Bauschs gelassenes Ringen um Worte

Die Pina Bausch Foundation legt einen Band mit Reden und Interviews vor, die die Choreographin in 35 Jahren gegeben hat.

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Wuppertal. Pina Bausch war sehr beredt in ihren Stücken, aber eine große Schweigerin im Gespräch. Die Choreographin hat einfach in Ruhe überlegt, was sie antwortet — und das fiel zudem oft anders aus als erwartet. Beispielhaft war das zu erleben bei der Matinee mit Marmeladenbrötchen im Schauspielhaus, bei der die Pina Bausch Foundation das Buch „O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden“ vorstellte. Eingespielt wurde eine Szene aus ihrem einzigen Talkshow-Auftritt, 1998 bei „Willemsens Woche“ im ZDF.

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Er fragt munter: „Wo entsteht ein Schritt? Entsteht der im Muskel, entsteht der im Kopf, entsteht der im Rückenmark?“ Sie sagt lange nichts, für Fernsehverhältnisse schweißtreibend lange. Dann antwortet Pina Bausch: „Ich hab ja das Glück, dass ich nichts analysieren muss. Sondern ich kann es machen, und nachträglich kann ich überlegen: Wo entsteht das?“ Das ist zwar keine genaue Antwort auf die Frage, aber eine präzise Beschreibung ihrer Arbeit.

Viele haben in der Zeit ihres Wuppertaler Wirkens zwischen 1973 und 2009 versucht, das Geheimnis ihres Tanztheaters zu ergründen, wie sie all die „Dingelchen“ (Pina Bausch) erst findet und dann zu einem Stück komponiert. Pina Bausch stand im Ruf, keine Interviews zu geben. Das wird ihr wahrscheinlich entgegengekommen sein, weil sie sich nie danach gedrängt hat. „Ich hatte immer Angst vor Worten“, heißt es in einem Filmausschnitt. „Ich dachte, ein Bild muss für sich allein sprechen.“

Dennoch hat sie mit vielen Journalisten gesprochen, wie Herausgeber Stefan Koldehoff bei der Arbeit am Buch erstaunt festgestellt hat.

Fast jeder Gesprächspartner war verblüfft, wie kompromisslos sie sich Zeit für ihre Antworten genommen hat. Der französische Dramaturg und Übersetzer Michel Bataillon beschreibt die Sprechweise der Choreographin, die in Frankreich als Theaterdichterin bezeichnet wird, so: „Pina Bauschs Sätze werden nur zögerlich vollendet, sie bleiben offen, in der Schwebe. Sie sind zugleich entschlossen und zerbrechlich und dabei stets klar verständlich.“ Daraus wird zugleich deutlich, wie delikat es war, diese besondere Art des Sprechens in die Schriftform eines Buches zu übertragen.

Bataillon saß mit zwei Kollegen und Stefan Koldehoff auf dem Podium im Schauspielhaus. Die Wuppertaler Autorin Christiane Gibiec, die 1997/98 für den WDR ein Langzeit-Porträt drehte, will in den Drehpausen bemerkt haben, „dass Pina Bausch wirklich Angst hatte“. Insgesamt sei die Arbeit nervenaufreibend gewesen, weil Gibiec zu mehreren Auftrittsorten mitgereist war, dort aber nicht immer einen Gesprächstermin bekam.

Der gebürtige Amerikaner Stephen Locke, der 1979 in Berlin mit Bausch gesprochen hatte, ist heute noch begeistert von der „Vielseitigkeit ihrer Gedanken, weil sie alles gleichzeitig gesehen hat“. Doch auch das trägt dazu bei zu erahnen, wie ihre Stücke aus dem Nichts entstanden sind.

Dem ersten Band der Pina Bausch Editions sollen weitere folgen. Wenn die Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“, die bis zum 24. Juli in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist, am 16. September in den Berliner Martin Gropius-Bau wandert, soll dieser Interview-Band in englischer Übersetzung vorliegen. Anschließend ist ein zweiter Band mit Interviews geplant. Salomon Bausch, Vorstandsvorsitzender der Pina Bausch Foundation, kann sich in der Reihe auch eine besondere Zusammenarbeit mit Fotografen und DVDs vorstellen.

Alle Vorlagen für die Texte des Bandes sind im Archiv der Foundation einsehbar. Außerdem gibt es eine Seite, auf der sie insbesondere Tonspuren und Videoaufnahmen der im Buch dokumentierten Gespräche zugänglich machen wird:

editions.pinabausch.org