Ausnahmezustand Plötzlich ist das normale (Arbeits-)Leben weg
Wuppertal · Künstler der Wuppertaler Bühnern erzählen von einer Jahresendzeit 2020 ohne Auftritte.
Normalerweise ist der Jahreswechsel mit seinen vielen Feiertagen eine Hochzeit für die Wuppertaler Bühnen. Die Corona-Pandemie aber verhängt Stillstand. In diesem Jahr gibt es keine Aufführungen, keine Konzerte. Fast fertige Produktionen wurden beendet. Es gibt eine Weihnachtspause.
Schauspielintendant Thomas Braus, der aufgrund der ständig veränderten Verordnungslage in diesem Jahr so viel organisiert hat wie nie, weiß noch nicht, wie er die freie Zeit „füllt“. Er könne sich gar nicht daran erinnern, jemals Weihnachtsferien gehabt zu haben oder an Silvester, das er oft mit Doppelvorstellungen verbrachte, weggefahren zu sein. „Jetzt könnte ich das ja“, überlegt er. Dennoch hat die Idee, Weihnachten in den Schnee zu fahren, keine Chance – er soll ja zuhause bleiben.
Das Jahr begann für Catarina Laske-Trier, die seit 2002 dem Sinfonieorchester angehört, mit einem großen Erfolg: Sie entschied das Auswahlverfahren um die Stelle der Soloflötistin für sich. „Ich war unglaublich glücklich“, lenkt die 42-jährige Musikerin den Blick auf die anderen Dinge, die in 2020 neben Corona passiert sind. Auch die Krise nehme sie als Herausforderung an, versuche musikalisch weiterzukommen, eine „neue Kreativität“ zu entwickeln. Neben der gerade beendeten Produktionsarbeit an der Oper „Die Piraten“ investiert sie viel Energie in ihr kammermusikalisches Duo d’Or, das sie zusammen mit der Soloharfenistin Manuela Randlinger-Bilz bildet. Und sie entschleunigt ihren Alltag. Der wäre in einem normalen Jahr gerade jetzt besonders stressig und zugleich besonders schön, würde ihre organisatorischen Fähigkeiten sehr beanspruchen, da ihr Mann freiberuflicher Sänger ist. Nun aber sei „das ‚normale’ Leben, das wir schon seit Jahrzehnten haben, einfach weg“. Weihnachten werde sie (wie immer) im kleinsten Kreis mit der Kernfamilie feiern. Ein gemütlicheres Beisammensein werde das sein, weil es keine Arbeitstermine gebe. Für 2021 wünscht sie sich vor allem Normalität, „die Konzerte und unser Publikum, zurück“.
Das unterstreicht auch Ralitsa Ralinova. Die Sopranistin, die im September noch in Mozarts „Die Zauberflöte“ auf der Bühne stand und bis vor wenigen Tagen „Die Piraten“ mitprobte, hofft außerdem, dass „wir alle gelernt haben, das wertzuschätzen, was wir haben, und dass das Wichtigste ist, gesund und geliebt zu sein“. Statt mit Proben und Aufführungen ausgelasteter Wochen, statt Hektik und dem Privileg, „dem Publikum Genuss und Vergnügen zu bereiten“, wie es in normalen Jahren der Fall ist, verbringt die 31-Jährige, die seit 2016 dem Opernensemble angehört, die Feiertage mit ihren Freunden in Wuppertal. Sie verzichtet wegen der steigenden Infektionszahlen auf den Besuch ihrer Familie in Bulgarien. Und tröstet sich damit, dass sie während des ersten Lockdowns zwei Monate mit ihr verbringen konnte. Auch wenn die Sängerin vermutet, dass in jeder Situation irgendwo eine Chance entdeckt werden könne, hofft sie doch, dass „diese beängstigende und schwere Zeit bald vorüber ist“.
Die Prioritäten sollten
anders gelegt werden
„Ich glaube nicht, dass in dieser Situation von einer Chance die Rede sein kann“, meint dagegen Kevin Wilke. Das Jahr endet ohne aktuelles Projekt für den 27-Jährigen, der seit Ende 2019 zum Schauspielensemble Wuppertal gehört und bisher nur coronagestutzte Spielzeiten erlebt hat. Zuletzt im Familienstück „Robin Hood“ mitwirkte, beim Adventskalender des Schauspiels mitliest und sich ansonsten aufs Musikmachen konzentriert. Keine Vorstellungen zu spielen und kein Publikum erleben zu können, mache ihm „als Anfänger in diesem Metier das Herz sehr schwer“. Andere Vermittlungswege fühlten sich letztlich doch nur wie eine Einschränkung an. Persönlich sei er aber mit seiner Situation zufrieden, weil er ein Theater an seiner Seite habe, im Unterschied zu freischaffend arbeitenden Kollegen finanziell abgesichert sei. Für 2021 wünscht er sich, dass „wir als Menschen etwas aus der Pandemie mitnehmen“, Prioritäten umverteilen: Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, sollten gebührend respektiert und entlohnt werden, „Kunst und Kultur als unerschütterliche und unverzichtbare Güter in unserer Gesellschaft“ verankert werden.
Marco Agostini ist zweiter Tenor im Opernchor und Betriebsratsvorsitzender, hat als solcher ein sehr stressiges, weil regelungsreiches Jahr hinter sich und mahnt, dass „die gesamte Kulturbranche 2021 nicht im Regen stehen gelassen werden“ dürfe. Gefühlt verschwinde die Kultur gerade völlig aus dem Alltag der Gesellschaft, sorgt sich der Künstler, der seit 2005 bei den Bühnen ist. Für seinen Berufsstand stelle die Pandemie „eine große Herausforderung und vor allem eine Geduldsprobe“ dar. Statt vorweihnachtlicher Hochsaison auch mit solistischen Gesangsauftritten hatte der 45-Jährige einen einzigen Termin im November, nahm mit Kollegen aus dem Opernchor adventliche Lieder auf und erarbeitete eine virtuelle „Lieder-Probe fürs Wohnzimmer“. Außerdem verbessert der Sänger seine Work-Life-Balance: 2020 hatte er „so viele freie Wochenenden wie seit 20 Jahren nicht mehr“ und wird erstmals seit ebenfalls fast 20 Jahren mangels beruflicher Verpflichtungen die anstehenden Feiertage im Familienkreis verbringen können.