Spielzeit-Eröffnung Talton-Theater eröffnet die Spielzeit mit schwarzem Humor
Das Ensemble feierte mit „Harold und Maude“ gelungene Premiere.
Von Martin Hagemeyer
Ungewöhnliche Paare gibt es immer wieder einmal. Das Talton-Theater widmet sich der Variante „Alt trifft jung“: „Harold and Maude“ feierte Premiere in der Inszenierung von Jens Kalkhorst — und damit nach dem Film von 1971 eine schwarze Komödie, die auch heute durchaus kontrovers wirkt.
Junger Stubenhocker trifft Seniorin? Diese Zusammenfassung trifft es hier nicht wirklich. Ist doch Harold (Moritz Heiermann) nicht einfach irgendein Single, sondern inszeniert regelmäßig seinen eigenen Tod — sprich: unternimmt spektakuläre Selbstmordversuche. Ursache war einst ein Zwischenfall im Chemieunterricht: „Damals kam ich auf den Gedanken, dass Totsein auch seine Reize hat.“ Grund genug für mangelnde Sexyness — bis er Maude begegnet (Doris Hartmann): Lebensfroh, treuherzig — und neunundsiebzig. Ob das nun in Ehe endet oder nicht: Am Ende hat der junge Mann viel über Lebensglück gelernt.
So ein Stück braucht Sinn für speziellen Humor — im Saal wie auch auf dem Regiestuhl. Wie das Morbide unterhaltsam zeigen? Cool und konsequent: Kalkhorst setzt auf Kontrast. Malerisch, doch mit Kopfschuss liegt Harold schon in der Eingangsszene im Zimmer. Ins dann angebahnte Date mischt sich schnell das Hackmesser, und zur trauten Teestunde vorn auf der Bühne brennt im Garten Harolds Sarg. All die bizarre Handlung zu dämpfen, wird gar nicht erst versucht — gut so.
Moritz Heiermann ist ein Harold zum Fürchten und Bemitleiden: Apathisch bis reglos, und gerade dadurch intensiv. Seine Lebensunlust spiegelt sich fast spürbar in den Bewegungen wie der totenblassen Mimik. Überzeugend gibt Doris Hartmann den Gegenpol zwischen herzig und weise: „Wir kommen mit nichts auf die Welt und verlassen sie wieder mit nichts.“ Auch bei der ganz großen Geste bleibt ihre Maude liebenswert und lebenspraktisch — mit diesem Zitat etwa rechtfertigt sie lapidar, warum man zum Transport eines Bäumchens doch gern einmal fremde Lastwagen „ausleihen“ darf.
Witzige Momente bringen auch Nebenfiguren hinein. Schön überdreht etwa Klaus Lemanczyk als Pater Finnegan oder auch Lisa Marlen Flohr in einem Kabinettstückchen als atemlos verplauderte Beziehungskandidatin.
Es bleibt Geschmackssache, ob man all das auf der Bühne mag. Das gilt für das Makabre, aber auch für Harolds offenkundige psychische Störung, die zwischen Depression und „Irgendwie beachtet werden wollen“ nicht recht geklärt wird. Doch unterm Strich gelingt ein heiterer Abend mit Spaß am Überdrehten. Die Konstellation der Story jedenfalls verdient Aufmerksamkeit gestern wie heute: Gesellschaftliches Naserümpfen über „falsche“ Beziehungen gibt es schließlich immer noch. Und was Kinostoffe gern vergessen lassen, wenn sie seichter sind als hier: Romantisch wird eine Liebe ja nicht dadurch, dass die Partner möglichst süß und knackig sind.