Freies Netzwerk Kultur Wuppertal Über das Schweigen und Verhandeln

Tine Lowisch vom Freien Netzwerk Kultur will mehr Humor wagen als bisher.

Tine Lowisch vom Freien Netzwerk Kultur.

Foto: CLAUDIA SCHEER VAN ERP

Und immer wieder sind sie da, diese kleinen überraschenden Fehler. Zum Beispiel in der Kommunikation. Manchmal sind es wirklich kaum bemerkbare Abweichungen vom Protokoll. Oft kommt kurzfristig eine Information dazwischen, fällt weg oder taucht überhaupt nicht auf. Störungen im System eben. Bei Gesprächen in größerer Runde tauchen Störungen als Informationen meist in Form von gegenseitigen Unterbrechungen auf. Die sind menschlich und man kann sie als erholsame Pause nutzen, um weiter zuzuhören und dabei schnell nochmal nachzudenken. Ich mache mir dann ein paar routiniert humorvolle Notizen im Kopf. Denn es kann gefühlt sehr lange dauern bis man, in immer wieder neuer Konstellation zusammenkommend, frei sprechen darf. Da muss man geduldig und interessiert, sehr erfahren oder geschult sein, um den Faden nicht zu verlieren. Es ist, wie es wird – heute darf leider niemand niemanden mehr mitten im Satz unterbrechen. „Lass mich ausreden“, „dein Handzeichen bitte“, „erst die Vorstellrunde beenden“, „das passt jetzt nicht hier hin“ und so weiter. Sie können sich nicht vorstellen, mit wie viel Energie ich dieses gegenseitig wertschätzende, konstruktiv-kollektive Miteinander in Gesprächen in mir wieder entdecken und vor allem in den letzten zweieinhalb Jahren neu aus mir herausholen musste.

In dieser ganzen Zeit, in der wir nun schon mit voller Power versuchen ein flexibles Netzwerk aus Kunst- und Kulturschaffenden in dieser Stadt zu vereinen, wird es manchmal unübersichtlich: Wie unterschiedlich, wie individuell wir Kunst- und Kultur-Netzwerker doch sind. Auch und vor allem die potentiellen. Ich zum Beispiel bin in einer großen Familie aufgewachsen und habe das Teilen im Schlagabtausch mit meinem Zwillingsbruder ganz natürlich gelernt. Zusammen mit den Freunden, die meine Geschwister und ich jederzeit mit nach Hause bringen durften, saßen oft bis zu zehn Personen an einem Tisch. Hätte ich da gewartet bis mir jemand das Brot reicht, wäre ich verhungert. Ich komme also aus einer in bestem Sinne fordernden, häuslichen Lernumgebung. Einmal war es bei uns zu Hause in Ronsdorf am Tisch so laut und lustig, dass das Einzelkind von nebenan - die Eltern mussten länger arbeiten - tatsächlich in Ohnmacht fiel, weil ihm von den gleichzeitigen, immer lauter werdenden Gesprächen, schwindelig geworden war.

Mein Erfahrungswissen in Gesprächen speist sich aber natürlich nicht nur aus vergangenen Erlebnissen wie diesem, es stützt sich auch nicht nur auf die Kenntnis vieler vergleichbarer Fälle. Mein schweigendes Wissen ist einfach nach und nach über einen langen Zeitraum gewachsen. Bis heute habe ich es in vielen Dialogen und Debatten trainiert und oft aktiv handelnd, oft zuhörend, also schweigend, viele Alarm-Situationen in Aushandlungsprozessen erlebt.

Daraus habe ich eine Strategie entwickelt, die sehr gut zu mir passt: Ich nehme es mit Humor, wenn es in Gesprächen anders läuft als geplant. Manchem ist das zu handgemacht, zu krachend. Um jemanden zu erleben, der aus dieser Erfahrung sogar ein Bühnenprogramm entwickelt hat, der also eine ähnliche Empfehlung gibt, gehe ich am 24. Januar in die Börse zu René Steinberg. Laut Vorankündigung in ein Trainingscamp der nachhaltigen Art, in dem es unter anderem um Homer, Goethe, WhatsApp und Heimat gehen soll. Das wird ganz sicher reflektiert, interaktiv, spontan, aberwitzig und sehr lehrreich. Denn um noch mehr Humor zu wagen als bisher und so gewappnet zu bleiben für das was kommt, muss ich jetzt einfach im Training bleiben.